In Norwegen hat also ein einzelner verstrahlter Rechtsradikaler das Massaker begangen. In England sind seit Tagen heftigste Unruhen. Meine Gedanken um diese beiden Themen brachte mich auf die Idee einen Artikel über den Ursprung der Skinheads zu schreiben, um aufzuzeigen, wie weit die in den Medien gepushten Skinheads von der ursprünglichen Einstellung eines Skinheads entfernt sind. Wir alle kennen die Bilder, auf denen Menschen anderer Herkunft gejagt, gehetzt, verprügelt werden. Das stimmt mehr als nachdenklich, es macht mich wütend. Doch sind Skinheads in Ihrer usrprünglichen Existenz alle rechts? Wer hinterfragt eine Reportage, die im Fernsehen ausgestrahlt wird? Dieses Thema hat viele Facetten, die eine 5-10 Minuten Reportage nicht abdecken kann. Ein parteiloser, unpolitischer und historischer Abriss der Skinheadszene.
Der ursprüngliche Skinhead
Ein „Skinhead“, lässt man die politische Einstellung ertsmal aussen vor, ist zunächst im wahrsten Sinne des Wortes ein „Hautkopf“. Die Bewegung entstand in den 60iger Jahren in England. An vielen Stellen liest man das Jahr 1969 als Anfangsjahr der Bewegung. Doch gab es auch schon vor diesem Zeitpunkt „Skinheads“, die nur nicht so bezeichnet wurden. Doch sie kleideten sich ähnlich. England, East London, ein Arbeiterviertel. Viele Einwanderer aus Jamaika, aus Teilen der Westindischen Inseln und Weisse aus der Arbeiterklasse wohnen hier. Ganz im Gegensatz zu den Nazi-Skins hat sich die Skinhead Bewegung am Anfang ihrer Entstehungsgeschichte gemeinsam gebildet. Die schwarzen „Rude Boys“ und die „weissen Mods“ erleben gemeinsam die schwarze Musik. Zu dieser Zeit hauptsächlich Northern Soul, Ska und auch Early Reggae. Man hatte also einen Ursprung.
Aus dieser Gemeinsamkeit heraus entstand die Skinhead Bewegung. Diese begann sich auch schnell von den Mods abzugrenzen. Mods erkannte man an ihrem guten Kleidungsstil. Sie versuchten ihre Herkunft aus der Arbeiterklasse oder der mittleren Unterschicht zu verbergen, fuhren Motorroller (hauptsächlich Vespas oder Lambrettas), hatten Parker an und hörten The Who. Wer Lust hat sich damit etwas näher auseinanderzusetzen, der sollte sich den Film Quadrophenia besorgen.
Zurück zum Thema. Zu dieser Zeit gab es die diversesten politischen Einstellungen in der Skinheadszene, diese waren aber auf keinen Fall rechtsradikal gelagert. Ähnlich wie im Reggae heute, ging es damals um Rebellion, um das „Gehört werden“ und vielleicht ein Stück weit auch um das „Herausstechen“ aus der restlichen Gesellschaft. Irgendwie musste man sich auch von den „Hippies“ dieser Zeit stark abgrenzen.
Dann kam Anfang der 70iger Jahre Aretha Franklin mit ihrem Album „Young, Gifted and Black“. Der Titel des Albums basiert auf einem Lied von Nina Simone´s „To be young, gifted and black“, das 1970 auf Simone´s Album „Black Gold“ erschien. Damit räumte Aretha Franklin einen Grammy ab.
Original Lyrics von Nina Simone „To be young, gifted and black“ (1969)
To be young, gifted and black,
Oh what a lovely precious dream
To be young, gifted and black,
Open your heart to what I meanIn the whole world you know
There are billion boys and girls
Who are young, gifted and black,
And thats a fact!Young, gifted and black
We must begin to tell our young
Theres a world waiting for you
This is a quest thats just begunWhen you feel really low
Yeah, theres a great truth you should know
When youre young, gifted and black
Your souls intactYoung, gifted and black
How I long to know the truth
There are times when I look back
And I am haunted by my youthOh but my joy of today
Is that we can all be proud to say
To be young, gifted and black
Is where its at
So weit so gut, aber die weissen Skinheads konnten sich nur schwerlich mit diesem Lied identifizieren. Nicht nur das, sie boykottierten Lieder dieser Art. Die schwarzen Skinheads begannen sich immer mehr dem politischen Reggae hinzugeben. Denn der Beat des Ska verlangsamte sich und der Reggae war zu dieser Zeit gerade in seiner Gründungsphase. Große Musiker wie Bob Marley oder Jimmy Cliff traten auf die Bühne, fanden unter den schwarzen Skinheads ihre Anhänger. Das konnte nicht gut gehen. Um es in Bob Marleys Worten zu sagen:
Die historischen Erfahrungen der weissen Arbeiterklasse waren nicht die gleichen wie die der Schwarzen oder Asiaten
Die Teilung der Skinheadszene begann. Nicht nur äusserlich, auch innerlich. Wo sich vorher die unterschiedlichsten politischen Meinung in einer Szene wiederfanden, so bildeten sich jetzt die unterschiedlichen Gruppen nach politischer Gesinnung. Ein weiterer Grund für die Aufsplittung der Szene liegt am England der damaligen Zeit selbst. Die Regierung unter Führung von Margaret Thatcher machte Stimmung gegen die „Ausländer“ im eigenen Land und heizte dadurch die Szenerie weiter an. Die Polizei verprügelte zu dieser Zeit fast willkürlich afro-karibische Skinheads. Wurde die Szene durch die Politik geteilt? Zumindest ist dies ein wichtiger Punkt, über den man nachdenken sollte. Die unterschiedliche ethnische Abstammung war das Mittel der damaligen Elite Englands um die Arbeiterklasse klein zu halten. Die Regierung selbst versuchte mit allen Mitteln die unterschiedliche ethnische Herkunft in den Vordergrund zu stellen. Gleichzeitig wurden jedoch in diesen Jahren viele weitere Einwanderer benötigt, um die Wirtschaft weiter auszubauen.
Enoch Powell und die Politik
1970 konnte der rechtsradikale konservative Politiker Enoch Powell die ersten 40 Skinheads für seine rechte Gesinnung gewinnen. Am meisten mussten die pakistanischen Einwanderer darunter leiden. Sie wurden immer wieder verprügelt, da sie am wenigsten Widerstand leisteteten. Nicht von genau diesen 40 Skinheads, sondern von vielen, die sich auf einmal diesen anschlossen. Warum? Wie konnte es dazu kommen? „British Movement“ und die „National Front“ versuchten ständig Skins „abzuwerben“, um sie für ihre rassistische Ideologie zu gewinnen und einzusetzen. Da die Skins schon etwas furchteinflössend aussahen haben sie sich genau die Skinheadszene ausgesucht. Gebraucht wurden Schlägertruppen und Laufburschen, die in ihrem politischen Sinne handelten. Und was machte die Mehrheit der Skinheadszene zu dieser Zeit?
Skinheadkampagne „Get your strength thru Oi!“
Sie rief die größte Skinheadkampagne gegen den vorherrschenden Rechtsradikalismus ins Leben: „Get your strength thru Oi!“ Dies wurde höchstwahrscheinlich aus dem englischen Spruch „Strength through Joy!“ abgeleitet. Aus „Joy“ wurde „Oi“. Dies könnte man frei mit den Worten „Hol Dir deine Kraft durch Freude“ übersetzen. Die Skinheads seinerzeit wollten zeigen, dass „Oi“ nicht für Rassismus steht, sondern für das Gegenteil, also antifaschistisch ist. Und was macht man, wenn man von einem Gedanken überzeugt ist und diesen weiterverbreiten möchte? Man wird aktiv. So wurde 1981 ein „Oi!“ Festival ins Leben gerufen.
Was allerdings nicht geplant, aber auch nicht zu vermeiden war ist, dass dieses Festival im asiatischen Viertel von Southall stattfand. Dort wohnten Asiaten, die sich schon von der „National Front“ und deren „Boneheads“ (dazu später mehr) bedroht fühlten. Am Festivaltag waren 500 Fans vor Ort, darunter 250 Skinheads. Leider mischten sich unter diese „Oi“ Skins auch ca. 100 Skinheads mit rechtsradikaler Gesinnung. Bei einem Konzert eskalierte die Situation und asiatische Gangs drangen ein und steckten den Saal in Brand. Eine Bewegung gegen Rassismus rief also eine der stärksten Rassenunruhen hervor. „Oi“ ging seinem Ende entgegen. Gleichzeitig veränderte dieses Ereignis die gesamte Skinheadszene.
Die SHARP Skins
1988 gründeten sich aus antifaschistischem Denken heraus die sogenannten „SHARP“ Skins in Amerika. SHARP steht für „Skinheads Against Racial Prejudice“. Wie bitte? Noch eine Skinheadgruppe, die nicht rechts orientiert ist? SHARP will die Bewegung der „Oi!“ Skins wieder aufleben lassen, das bedeutet direkt zurück zu den Wurzeln der Bewegung: der Arbeiterbewegung und ihrer schwarzen Musik, dem Ska. Das Motto der SHARP Skins ist „Denke mit dem Kopf und nicht mit den Stiefeln“.
Oddy Moreno, der Sänger der Band „The Oppressed“, soll gesagt haben:
Kein Skin kann Rassist sein, weil er sonst seine schwarzen Wurzeln verleugnet.
Die Boneheads oder auch Baldheads
Bekanntermassen haben Skinheads ziemlich kurze bis gar keine Haare. Jedoch war die Standardfrisur zu den Anfängen ein #5 oder #6 Crop. Das sind ca. 1,2 bis 1,6 cm. Niemand hatte eine komplette Glatze am Start. Vielmehr noch: rechtsextreme Skins wurden von den anderen Skinheads als „Boneheads“ bezeichnet, denn ihre „Frisur“ ist selbst für die Skinheadszene extrem kurz, nämlich kahl. Meist nass rasiert oder nur wenige Millimeter lange Haare kennzeichnen in den meisten Fällen die Naziskins. Wir kennen ein ähnliches Wort aus unzähligen Reggae Tunes, den „Baldhead“, so z.B. „Those Crazy Baldheads“ von Bob Marley:
Them crazy, them crazy
We gonna chase those crazy
Baldheads out of town
Chase those crazy baldheads
Out of town
Die Skinheadwelle schwappte auch nach Deutschland über. „Punks“ standen vor dem Aus. Doch die Mehrzahl der Skinheads haben nicht die Hintergründe der eigenen Bewegung mitbekommen. Vielmehr wurden sie vom Medienbild mitgeprägt. Dort wurde und wird ausschliesslich über Naziskins berichtet. Somit konnten die meisten Skinheads in Deutschland niemals zu den Wurzeln „ihrer“ Bewegung vordringen. Woher soll man diese kennen, wenn es einem keiner sagt. Oder hat jemand von Euch schonmal einen TV Bericht über eine antirassistische Skinhead Demonstration gesehen? Spätestens jetzt sollte es „Klick“ machen. Ein Skinhead in seiner ursprünglichen Bezeichnung ist nicht rechtsradikal.
Eine weit verbreitete These – die Farbe der Schnürsenkel
Vielen von Euch ist sicherlich auch das Thema „Schnürsenkelfarbe“ in Springerstiefeln ein Begriff. Angeblich soll man die politische Einstellung eines Skinheads an der Farbe der Schnürsenkel erkennen? Der Ursprung der unterschiedlichen Schnürsenkelfarben ist schnell erklärt. Skinheads waren früher zu grossen Teilen Fussball Anhänger. Wollte ein Skinhead in England ein Stadion betreten, so musste er seine Schnürsenkel beim Betreten des Stadions abgeben. So wurde versucht Schlägereien im Stadion zu vermeiden. Doch die Skins banden sich statt Schnürsenkeln einfache Fäden in ihre Schuhe. Diese hatten allerlei Farben, was eben gerade vorhanden war.
In der heutigen Zeit hält sich tapfer der Mythos, dass man Naziskins an weissen Schnürsenkeln erkennen kann, da diese Farbe ihre Kampfbereitschaft symbolisiere. Weiss soll hierbei für „White Power“ stehen. Wenn man jedoch die Anfänge zurückverfolgt, dann ist dies nur ein Mythos. Mal abgesehen davon, dass die geistig größten Nazis wohl eh nicht mit Bomberjacke und Springerstiefeln umherlaufen, gibt es doch auch weitere Erklärungen für weisse Schnürsenkel. Kurz erinnert: zu Beginn der Skinheadszene waren Schwarz und Weiss vereint, man hörte gemeinsam Musik, feierte zusammen. Also könnten weisse Schnürsenkel und schwarze Stiefel auch für die Zusammengehörigkeit von Schwarz und Weiss stehen. Bei der zweiten Ska Welle in England war das Label Two Tone federführend. Und woran erkannte man Two Tone? An den schwarz weissen Quadraten, die abwechselnd aneinandergereiht waren, ähnlich einem Schachbrett Muster. Somit ist der Mythos der weissen Schnürsenkel enttarnt.
Fazit der Zeitreise
Die Naziskins missbrauchen das Aussehen der Skinheads für ihre Zwecke. Sie adaptieren das Aussehen der Skinheads, jedoch haben sie nichts mit den ursprünglichen Skins gemeinsam. Skinhead ist nicht gleich Nazi. Auch wenn einem beim Anblick eines Skins selbst sehr leicht dieser Schluss in den Kopf kommen mag. Nicht nach dem Aussehen soll man einen Menschen beurteilen sondern nach seinem Denken und Handeln. Skinheads mit antifaschistischer Denke erkennt man sehr häufig auch an ihren „SHARP“ oder „OI“ Aufnähern. So watch out and remember the roots!
Weiterführende Informationen
Wer noch mehr über Skinheads wissen möchte sollte sich den Film „This is England“ von Regisseur Shane Meadows anschauen. Dieser gewann im Jahr 2006 die „British Independent Film Awards“. Musikalisch untermalt wirde der Film unter anderem von „Toots & The Maytals“, „The Specials“ und vielen weiteren. Weiterhin sehenswert ist der Film „World of Skinheads“, den man bei Google Videos findet.
Danke für die Zeitreise, Floyd. Bei Deiner Frage nach einem TV-Bericht fiel mir spontan die Doku „Skinhead Attitude“ ein. Also die hier: http://youtu.be/qm2iw9EAsfs
Gerne Christoph. Danke, dass du den Link der Doku „Skinhead Attitude“ hier geteilt hast. Definitiv sehenswert. Ausserden habe ich gerade gesehen, dass du sogar über „Innermann“ bei metaplot.de geschrieben hast. Super! Vielen Dank dafür. Mal sehen wann das Buch startklar ist;)
Eine Klasse Zeitreise. Bis auf die Sache mit den „farbigen“ Skins aber eine bekannte Geschichte für mich.
Genauso wie mit den Skins verhält es sich heutzutage übrigens auch mit den Punks. Die wenigsten wissen noch wie die Punkszene entstanden ist, und was Punk überhaupt bedeutete.
Und was den Umgang von Medien mit irgendwelchen Szenen angeht stellen sich mir die Nackenhaare zu Berge. Es wäre sehr schön, wenn sich die Pressefuzzies vor Ihren Reportagen zumindest mal etwas in die Materie einlesen würden.
Auch wenn es um rechte Skinheads geht finde ich auch American History X wie auch Romper Stomper interessant. Letzterer stellt m. E. sehr gut die teilweise widersprüchliche Einstellung der rechten wieder.