Dass es in Lodon gerade ungemütlich ist haben inzwischen alle mitbekommen. Eine ehemalige Arbeitskollegin, die ich über Facebook wiedergefunden habe wohnt seit einigen Jahren in London, momentan in Hackney. Hier ihre Nachricht, die ich mit ihrer Genehmigung hier veröffentlichen darf. Vielleicht eine etwas andere, betroffenere Perspektive.
Inhalt der Nachricht bezieht sich auf den 08.08.2011
Hi Floyd, sorry hab nicht viel Zeit um viel zu schreiben. Kann dir nur berichten was bei uns los war. Ich wohne in Hackney genau mittendrin wo gestern die Hölle los war. Ich bin gegen ca 18 Uhr dort angekommen und schon auf dem Weg dorthin haben alle Geschäfte und Pubs die sonst bis Mitternacht geöffnet haben ihre Fenster verrammelt und mit Brettern vernagelt. Überall liefen Schwärme von Teenagern komplett vermummt durch die Strassen. Jeder der mir entgegenkam rief fahr nicht dort lang oder da lang, weil in sämtlichen Strassen riots ausgebrochen waren.
4 Fernseh- und Polizeihubschrauber kreisten stundenlang ueber unseren Köpfen. Männer mit riesigen Filmkameras rannten die Strassen entlang – zwischen Polizei und Krawallmachern hin und her. Jemand warf mir eine Jeans die er gerade aus dem Carhartt store die Strasse hoch geklaut hatte an den Kopf. Überall konnte man riesige, schwarze Rauchschwaden aus brennenden Autos und Mülltonnen aufsteigen sehen. Es war wie mitten im Kriegsgebiet. Ich bin bis 100 m vor unser Haus gekommen und hätte nur noch eine Strasse überqueren müssen als plötzlich 20- 30 Polizisten in voller Montur mit Schilden, Helmen und Schlagstöcken auf uns zugerannt kamen und schrien: „Get back! Get back! Run as fast as you can!“ was ich dann auch gemacht habe.
Bin zu Freunden die Strasse runter in ein Hochhaus geflüchtet und wir haben dann vom 8. Stock aus beobachtet wie sie unten Autos angezündet und Läden ausgeräumt haben. Gegen 21 Uhr haben wir uns dann aus dem Haus getraut und sind in Richtung unseres Hauses gerast. Die Polizei hatte die Krawallmacher dann Richtung Norden weg von der Haupteinkaufsmeile in eine Strasse isoliert, die heute wahrscheinlich vollständig in Schutt und Asche liegt. Dort haben sie sich dann die ganze Nacht bekriegt während die Gewalt in andere Stadtteile übergeschwappt ist. Nach Peckham, Lewisham, Woolwich, Clapham, Ealing, Camden.
Ich glaube der Hauptteil der Polizei war in Hackney stationiert weil sie es dort erwartet haben, da Tottenham wo alles anfing an Hackney angrenzt und wir viele Gangs beherbergen. Aber das hat keinen politischen Hintergrund mehr, das sind Jugendliche, die in ihren Sommerferien nichts besseres zu tun haben und einfach alles demolieren und stehlen was ihnen in den Weg kommt. Ich hoffe sehnlichst, dass die Polizei das heute in den Griff bekommt und wir nicht noch so eine Nacht durchstehen müssen.
Inhalt der Nachricht bezieht sich auf den 09.08.2011
Wir sind heute alle schon gegen 16 uhr nach Hause gekommen, weil sich hier alles auf die nächste Schlacht vorbereitet. Die Beamten in Hackney Town Hall wurden heute bereits um 13 Uhr evakuiert und sämtliche Geschäfte sind geschlossen. Es ist ein sonniger warmer Tag und normalerweise wäre London Fields Park voll mit jungen Hipstern, die in der Sonne liegen und bbq’s veranstalten – heute ist er nur von Polizisten bevölkert. Die Strassen sind fast ausgestorben, nur vor den letzten Corner Shops, die noch geöffnet haben, sammeln sich ein paar Menschen um noch die letzten Lebensmittel einzukaufen. Es fühlt sich an wie die Ruhe vor dem Sturm. 16.000 Polizisten sollen heute Nacht für Ruhe und Ordnung in London sorgen.
Auf dem Heimweg habe ich zwei Polizisten in voller riot Montur nach der aktuellen Lage gefragt aber sie konnten mir nicht weiterhelfen, weil sie von irgendwo aus Nordengland nach London beordert wurden und sich in unserer Gegend überhaupt nicht auskannten. Ich beneide sie nicht um ihren Job.
Bildnachweis
stolengolem, CC-Lizenz
Interessant mal einen direkten ungefilterten Bericht zu lesen.
Einerseits möchte ich solche Zustände gar nicht miterleben, andererseits denke ich immer man muss das live miterlebt haben um es überhaupt zu realisieren.
Aber eins weiß ich ganz genau, solche Zustände können wir in Stuttgart nicht gebrauchen.
Grüssle