Der SWR lud gestern zu einer Diskussionsrunde mit dem Namen „Stuttgart 21 und die Medien„. Die Sendung wurde ausschliesslich im Netz gestreamt und via Twitter, Facebook oder Kommentarfunktion konnte man Fragen in die Runde stellen. Doch kurz einen Schritt zurück: letzte Woche bekam ich eine Mail vom SWR mit der Bitte auf diese Veranstaltung in meinem Blog hinzuweisen. Diese Mail bekamen einige Blogger, und manche veröffentlichten den „Programmhinweis“. Warum ich es nicht tat liegt auf der Hand.
Die Gäste der Sendung
Angetreten unter der Moderation von Birgit Wentzien, Leiterin des SWR-Hauptstadtstudios in Berlin, sind:
– Joachim Dorfs (Stuttgarter Zeitung)
– Arno Luik (Stern)
– Rüdiger Soldt (FAZ)
– Clemens Bratzler (SWR Fernsehen)
– Wolfgang Molitor (Stuttgarter Nachrichten)
– Rainer Nübel (Kontext:Wochenzeitung)
– Robert Schrem (Fluegel-TV)
– Sebastian Heinel (IG Bürger)
Man könnte sagen, die Veranstaltung war ein in sich geschlossener Kreis. Robert Schrem saß ein wenig als Aussenseiter in dieser Runde ganz links, kam selten zu Wort, wirkte teilweise innerhalb der Sendung etwas abwesend. Im Feld diskutierten sich hauptsächlich Herr Luik und die Vertreter der Stuttgarter Nachrichten und der Stuttgarter Zeitung auf ein eigenes Level, das in Vorwürfen für alle Beteiligten endete.
Erwartungshaltung erfüllt?
Die Erkenntnis, wo genau die Fehler in der journalistischen Arbeit begangen wurden blieb komplett aussen vor. Dass Fehler begangen wurden steht ausser Frage. Dass Fehler menschlich sind ebenso. Worin aber diese Fehler gelegen haben könnten weiss ich bis jetzt nicht. Ebenso muss ich konstatieren, dass bei mir von der gesamten Sendung nur sehr wenig hängengeblieben ist. Und das lag nicht an meinem Zustand. Die vielen kleinen Diskussionen versperrten den Blick auf das Gesamte.
Das Internet ist böse und keinesfalls geeignet
Natürlich, und ich glaube da sind sich sehr viele Menschen einig, wird es innerhalb unserer Medienlandschaft keine Veränderung von heute auf morgen geben. Dafür müssen zuerst neue Formate diskutiert und gefunden werden. So lange werden wir uns mit dem jetzigen Stand zufrieden geben müssen. Damit kann ich leben. Womit ich weniger gut leben kann ist die klassische Sicht auf das Thema Internet. Um es mit einem Zitat der Stuttgarter Zeitung von heute zu verdeutlichen:
Einig war sich die Runde angesichts der neuen Rolle des Internets, dass man dieses zwar zum Dialog mit den Bürgern stärker nutzen müsse, dass sich der klassische Recherchejournalismus aber von den im Netz ungefiltert und ungeprüft kursierenden Informationen nicht treiben lassen dürfe.
Wo recherchiert ein Journalist? Zum Thema Stuttgart 21 gab und gibt es unzählige Dokumente, die öffentlich zugänglich sind. Dokumente der Bahn, der Regierung, etc. Recherchiert ein Journalist wirklich anders, als dies z.B. bereits einige Blogger tun? Wirklich Neues kann ich an der Position der Journalistengarde nicht erkennen. Das Internet ist gemein und voller Gefahren. Wer diskutiert die Chancen für eine Tageszeitung im Internet? Wo bleiben die wirklich spannenden Experimente im Bereich Tageszeitung und Internet. Die Überlagerung der Informationen durch Werbung kann nicht der Weisheit letzter Schluß sein, oder? Traut euch, denn auch schief gelaufene Experimente bringen einen Erfahrungswert mit sich, der alle Beteiligten weiter voran bringt.
Herr Molitor formuliert gerne überspitzt und eröffnet neue Brandherde. Keine neue Erkenntnis. Wir alle erinnern uns noch an die Twitterdemagogen. Gestern kam ein Einwurf seinerseits, dass diese Menschen auf Twitter ja selten mit ihrem echten Namen zur Diskussion beitragen. Abgesehen davon, dass es per Gesetz ein Recht auf Pseudonyme gibt: Twitter bietet die Möglichkeit der Pseudonyme, Facebook und Google+ nicht. Schwamm drüber, denn Herr Molitor ist ein Vorbild im taktischen Frage-Ausweich-Manöver-Spiel. Eine detaillierte Frage wird erstmal mit minutenlangem Ausufern und Selbsbeweihräucherungsexzessen beantwortet, bis ihn die Moderatorin nochmals auf die ursprüngliche Fragestellung hinweist. Doch selbst dann gibt es keine klare Antwort. Schade.
Herrn Nübel fand ich ganz charmant mit seinem Einwand, dass die Leser von Tageszeitungen heute nicht einmal mehr Kommentare und Nachrichten innerhalb einer Zeitung unterscheiden können. Man müsse zuerst einmal mehr Transparenz nach aussen in die eigene Arbeit bringen. Gut so. Was daraus wird steht dann noch einmal auf einem anderen Blatt.
Mein Lieblingsgast jedoch war Sebastian Heinel, der sich in seiner ganzen Geschmeidigkeit sehr gediegen in die Runde integrierte. Natürlich schlug auch er in die Kerbe, dass Menschen im Internet keine gut recherchierten Artikel zu lesen bekommen und sich überwiegend gerne da informieren, wo sie am ehesten ihre eigene Meinung geschrieben sehen. In letztem Punkt mag ich ihm sogar Recht geben, das ist der Fluch und Segen der Echokammern. Anschliessend sagte er jedoch sinngemäß: Wenn Menschen bei Facebook z.B. einen Link von „Der Freitag“ teilen, dann denken sehr viele Menschen durch die Darstellung des Beitrags bei Facebook, dass der Beitrag von „Der Freitag“ kommt und nicht von der Person, die den Link gepostet hat. Ja, nein, ja, nein, ähm, wie meinen? Menschen, die eine soziale Plattform nutzen sollten wissen, wie diese funktioniert. Und sie wissen es. Ganz egal wie man die Münze dreht und wendet, eine Bestätigung einer Meldung, egal ob im Internet oder einer Tageszeitung, sollte vom Leser immer kritisch hinterfragt werden.
Einen sehr vernünftigen Eindruck hinterliess Clemens Bratzler. Er war übrigens der Einzige, der sich z.B. für einen Austausch mit Robert Schrem von Flügel.tv interessierte. Natürlich diskutiere man auch beim SWR mögliche zukünftige Sendeformate. Das empfand ich als positiv, haben aber die wenigsten Zuschauer wahrscheinlich mitbekommen.
Die anderen anwesenden Journalisten hatten keine „Gegenspieler“, insofern fehlte dort aus meiner Sicht der Reibungsansatz und die Diskussionsgrundlage. Jetzt kann ich auch den Kreis zum Anfang des Artikels schliessen. Von einer Vorankündigung der Sendung innerhalb des Blogs habe ich abgesehen, da ich die ausgewählten Personen auf dem Podium als zu einseitig erachtete. Wo waren Blogger, YouTuber, Twitterer in der Runde? Diejenigen Personen, die die Diskussion ausgeglichener und spannender gestaltet hätten? Namen sind dabei Schall und Rauch, mir wäre das Signal einer gemeinsamen Diskussion wichtig gewesen. Aber was nicht ist kann durchaus noch werden, denn das Format der Sendung war ein gelungener, wenn auch nicht revolutionärer Anfang.
In diesem Sinne weiterhin viel Erfolg mit diesem Sendeformat.
Danke für eine sehr umfassende, spannende Nachbetrachtung. Einer der Macher von SWRdirekt
Hallo Herr Pastula,
gibt es für User, die am Mittwoch keine Zeit hatten, die Möglichkeit das Video der Veranstaltung nachträglich zu sehen?
Jetzt ist eine zusammengeschnittene Version online (zensiert?).
http://www.swr.de/direkt
Gruß Hans
Danke für den Tipp. Zensiert? Wie kommst du darauf? Unter dem Zusammenschnitt steht ein Link, unter dem du die ganze Sendung ansehen kannst. Ich binde den Link hier auch noch mal ein:
Link zum gesamten Videomitschnitt „Stuttgart 21 und die Medien“.
Vielen Dank. Wer weiß wann „SWRdirekt“ das Video abrufbar veröffentlicht und wo wird das geschehen?
Sorry, dass wir etwas länger gebraucht haben die Videos einzubinden. Da gab es ein paar kleinere technische Probleme. Sowohl ein Zusammenschnitt, als auch die gesamte Diskussion sind zwischenzeitlich online, wie ja auch oben schon kommentiert wurde. Bald mehr!
Vielen Dank dafür. Bin gespannt, was uns dieses Format noch bringen wird.
Werde mir den Videomitschnitt in einer stille Stunde auch noch ansehen.
Ein Argument zu (bzw. gegen) Herrn Heinel: Wer sich in den vor-internetten Zeiten weitergehende Informationen beschafft hat, hat dies auch hier nach seiner schon vorgefassten Meinung getan. Die einen haben Bildzeitung gelesen, die anderen die Zeit oder die TAZ, gibt schon drei verschiedene Sichtweisen.
Und ich meine auch, dass in Diskussionsrunden oft die tonangebenden Blogger fehlen. (Außer Herr Spreng, der schon wieder bei Anne Will saß)