Fast die Hälfte der Deutschen schlägt ihre Kinder. Die Forsa Umfrage gab die Zeitschrift Eltern in Auftrag. Ja, wir Deutsche sind ja auch ein Stückchen Weltmeister im Vertuschen und Verharmlosen. Denn nichts kann die Gewalt besser beschreiben als der sogenannte „Klaps auf den Po“, oder? Was ist das bitte? Streicheln die Eltern also einmal zart übers Popöchen, damit Kind versteht, dass es etwas falsch gemacht hat? Dass es mehr Respekt zu zeigen hat? Klar, und ich wette jedes Kind lacht sich nach der Streicheleinheit kaputt.

Den Willen des Kindes ganz zart brechen

Das kann mir niemand erzählen. Das ist einfach totaler Schwachsinn. Wenn es einen Unterschied zwischen einem „Klaps auf den Popo“ und „Hintern versohlen“ gibt, dann liegt das lediglich an der verniedlichenden Formulierung. Ja, natürlich sind Eltern ab und zu überfordert. Natürlich steht man als Eltern vor Situationen, die oftmals eine schnelle Reaktion erfordern. Aber Schläge? Hallo? Ich verstehe, dass Kinder in vielen Fällen nicht so reagieren, wie Eltern sich das wünschen. Doch leider verkennen viele Eltern die Realität. Entweder weil sie ihr Kind zu weit in der Entwicklung einstufen, oder weil sie immer noch nicht verstanden haben, dass Kinder eben genauso eigenständige Wesen sind wie Erwachsene auch.

Gefangen in der Zivilisation

Vor kurzem hat Patricia in ihrem Blog einen Artikel zum Thema kinderfreundliches Deutschland mit dem Titel „Ich habe nichts gegen Kinder, aber bitte nicht hier“ geschrieben. Besser kann man es nicht auf den Punkt bringen. Deutschland hat das Problem der Segmentierung. Für jede „Gruppierung“ bestehen eigene Plätze und Einrichtungen, z.B. Eltern-Kind Cafés, Altenheime, Behindertenwerkstätten, und vieles vieles mehr. Durch diesen Umstand verlernen wir das natürliche Miteinander. Ein stillender Busen in der Öffentlichkeit und die Frau erntet Blicke die von lüstern bis entsetzt reichen. In den seltensten Fällen verständnisvoll. Und das schreibe ich als Mann, der solche Situation nur aus der Danebensitzperspektive beurteilen kann. Wie scheisse müssen sich solche Blicke dann erst für eine Frau anfühlen? Das Kind hat einfach nur Hunger. Ein an jede Ecke pinkelnder Hund wird als normaler erachtet als ein hungriges Kind, das in der Öffentlichkeit gestillt wird! Das ist die Realität.

Erziehung zielt auf funktionstüchtige Kinder ab – was ist erlaubt?

Wenn jemand fragen würde, ob Kinder Grenzen brauchen wäre ich der Letzte, der diese Frage verneinen würde. Ja, sie brauchen Grenzen und dennoch: Eltern verwenden sehr viel Zeit darauf aus ihren Kindern Menschen zu machen, die in dem bestehenden System funktionieren. Verständlich? Zum Teil. Aber zu diesem System gehört es eben auch, dass sich z.B. Kinder im Flugzeug nicht auf ihre Sitze zu stellen haben, diese ungezogenen Wesen. Vor allem gehört auch dazu, dass sie, wenn sie dann schon stehen, nicht mal den Hintermann oder die Hinterfrau anlachen dürfen. Und bitte nicht sprechen oder etwas lauter werden. Das ist eine Todsünde, denn Mann oder Frau eine Reihe weiter wollen NUR ihre Ruhe. Und genau solche Situation führen dazu, dass Eltern eben reagieren wie sie reagieren. Sehr viele fühlen sich von der gesellschaftlichen Normen unter Druck gesetzt. Oh weia, der schaut böse, da sage ich meinem Kind lieber „Setz dich bitte wieder hin“. Und jetzt? Was macht man wenn das Kind nicht hören will, weil es Stehen und mit anderen Passagieren Spaß machen wesentlich spannender findet, als sich brav sitzend ein Buch anzuschauen? Diesen Gedanken darfst du selbst zu Ende führen. Eltern sollten sehr genau hinterfragen, welche gesellschaftlichen Regeln wirklich befolgenswert und erstrebenswert sind.

Lebt doch einfach mal wieder!

Das ist mein ernsthafter Wunsch. Nehmt doch alle wieder am Leben teil, ihr Menschen, die ihr Kinder seltsam findet. Ihr Eltern, von euch würde ich mir wünschen, dass ihr noch mehr hinter euren Kindern steht und sie nicht nur mit gesellschaftlichen Problemen konfrontiert. „Tu dies nicht!“ und „Lass das!“ sollte durch eine Ermunterung der Eltern ersetzt werden. Eine Ermunterung weiterhin Spaß im und am Leben zu haben. Und noch was: Kindermund tut Wahrheit kund, auch wenn es weh tut. Diese Erfahrung machen sowohl Eltern als auch Fremde. Wenn der kleine Feger im Bäcker sein „Papa, die Frau ist aber dick!“ zum Besten gibt möchte man sich natürlich am Liebsten in der Ecke verstecken oder unsichtbar werden. Und dennoch liegt in der Aussage ein gewaltiger Unterschied: der 3-jährige sagt das lediglich als Feststellung ohne jegliche Bewertung, während bei Erwachsenen so ein Satz meist mit einem abfälligen Ton zu hören ist. Und manchmal, ganz leise und voller Hoffnung wünsche ich mir, dass die „dicke“ Frau selbst zu Lachen beginnt. Gemeinsam mit meinem Kind. Und alles wäre gut! Leider hat sie reagiert, wie es zu erwarten war: „Was für ein freches Kind! Sie lassen alles durchgehen! Das Kind braucht mehr Grenzen! Bei seiner Mutter hätte das Kind das nicht ohne Folgen gesagt!“ Tja, das Vatersein hat auch so seine Tücken ;)

Hört auf eure Kinder zu schlagen!

Bitte bitte. Wer vor einem scheinbar unlösbaren Problem steht, sollte nach Hilfe suchen. Ein Kind vergisst nicht, wenn es geschlagen wird. Um so unverständlicher ein Kommentar bei Spon zu dem Artikel, der da lautet:

Ein Klaps auf den Hintern?!
Auf jedenfall ! Wenn ein Kind trotz mehrmaligem Ermahnen keine Grenzen zu respektieren weiß, dann kann so ein Klaps Wunder bewirken. Und es besteht ja wohl ein gewaltiger Unterschied, ob man ein Kind durchprügelt oder eben mal einen Klaps auf den Po gibt.

Diese sogenannten Pädagogen und Psychologen sind doch dieselben, die Kinder aufm Schulhof als verhaltensauffällig einstufen, wenn Sie in eine normale Rauferei verwickelt sind.

Hat es der älteren Generation geschadet? Also ich wusste immer, warum ich von meinem Vater eine mitbekommen habe. Grundlos hat er mir nie eine auf den Hintern gegeben.

Wenn ich so etwas lese wird mir einfach nur schlecht. Ein Klaps kann Wunder bewirken? Mensch, vielleicht triffst du mal auf einen 5 Meter großen Menschen, der dir mal einen Klaps auf den Hintern gibt. Aber hey, ist nur ein ganz sanfter Klaps, ehrlich!

Studie: Vergleich Gewalt in der Erziehung 2006-2011

Bildnachweis
fiskfisk, CC BY 2.0

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