Johnny hat es bereits vermutet. Das Internet ist kaputt. Zu einem großen Teil sind aber auch die Menschen kaputt, die mit Hilfe vieler Einsen und Nullen oftmals letzteres produzieren. Wenn ich Johnnys Artikel richtig deute, wird sich zukünftig seiner Meinung nach das Nutzerverhalten verändern:
Wir werden viel mehr für uns behalten. Denn wir können nicht mehr flüstern im Internet.
Achtung, jetzt kommt eine geskriptete Überleitung, an der ich lange gefeilt habe. Wir brauchen nicht mehr zu flüstern, denn ein großer Teil der User schreit sowieso den ganzen Tag das Internet voll. Andere schreien nicht so laut, aber handeln aus meiner Sicht aus einer zu sicher gefühlten Position heraus.
Verantwortung bewusst machen
Sicherlich, der Mensch ist oftmals ein bequemes Wesen. Deswegen genießen sehr viele Menschen Monopolisten wie Google oder Facebook. Halt, weiterlesen. Wir sind zu faul uns die wichtigsten Dinge selbst beizubringen. Kleiner Vergleich: wenn jemand in einer fremden Stadt steht und zum Bahnhof möchte, wird die Person den Weg finden. Fragen, noch mehr Menschen fragen, bis man am Ziel ist. Antrieb für so viele Fragen ist der Wunsch, den Zug noch pünktlich zu erreichen, um zu einem bestimmten Zeitpunkt am Ziel zu sein.
Wenn ich das Verhalten vieler Eltern im Internet beobachte, bemerke ich, dass der Zug meist schon abgefahren ist. Leider. Das Leben der eigenen Kinder wird praktisch ab dem Moment, an dem man den Kopf bei der Geburt sehen kann, mit Fotos dokumentiert. Mit „Freunden“ geteilt. Alles in dieses Internet hochgeladen. „Schau mal, total putzig, Gerd* pinkelt da gerade in die Badewanne.“ Oder vielleicht „Hier ist Gerd* im Schwimmbad.“ Na ja, den Rest könnt ihr euch sicherlich denken. Ich bin nicht begeistert.
Recht auf ein selbstbestimmtes Leben
Kinder haben das Recht, selbst über ihr Leben zu bestimmen. Klar, da müssen sich Eltern ein paar lange Jahre gedulden, bis Kinder wirklich selbständig entscheiden können, aber ich finde diesen inflationären Umgang mit Baby,- und Kinderfotos nicht normal. Ihr wisst doch, wie dieses Internet funktioniert. Habt ihr jemals nach einer bestimmten Person, nach Freunden gegoogelt? Jemals die Bildersuche bedient? Sicher, machen vielleicht nicht alle, aber sehr viele, oder? Stellt euch vor, dass ein Schulkamerad (der Gerd* nicht gerade wohlgesonnen ist) nach Gerd* googelt und über die Fotos stolpert, als Gerd* in die Badewanne pinkelte. Ich werde das nicht weiter ausführen.
Lasst Kinder selbst entscheiden, was sie von sich preisgeben möchten und was nicht. Wenn man unbedingt Freunden und Verwandten Fotos der Kinder zeigen möchte, dann wäre ein eigener kleiner Webspace die sicherste Lösung. Über ein Verzeichnis, das von Suchmaschinen nicht indiziert werden darf und mit einem Passwort geschützt werden kann, können die Fotos dann angesehen werden. Natürlich bin ich kein Techniker, aber diese Variante halte ich für definitiv sicherer als Facebook, Twitter oder Google. Wie immer gilt aber auch: absolute Sicherheit gibt es eben nicht. Wenn ihr nicht wisst, wie das mit dem eigenen Webspace genau geht, dann fragt. Beim Hauptbahnhof fragen wir ja auch nach.
Insofern hat Johnny vielleicht doch nicht so Unrecht mit seiner Vermutung, dass wir nicht mehr flüstern können. Natürlich muss auch hierfür erstmal ein Bewusstsein entstehen, denn gerade haben wir doch erst gelernt, dass wir auf alles von überall zugreifen können, dass wir praktisch alle dauervernetzt sind, dass alle unsere Freunde bei Facebook sind, usw. Vielleicht hält diese Welt gar nicht so lange an.
P.S. Ja, ich kann verstehen, dass man gerne Kinderfotos zeigt. Ja, das Internet macht dies schneller möglich. Nein, die Fotos muss nicht jeder sehen.
* Name frei erfunden
Ja, die Kinder ins Internet zu stellen ist furchtbar…
Etwa genauso furchtbar wie die depperten Videoschnitzel aus der Früh-Ära der privaten Fernsehsender. Sieht man sich heute RTL und Konsorten an, so sind diese Filme meist um die 20 Jahre alt, die Kinder von damals vielleicht schon selbst Eltern.
Ich weiß nicht, wie ich selbst gehandelt hätte. Ich bin ja auch stolz wie Bolle auf meine Jungs. Und die sind glücklicherweise schon erwachsen, die können entscheiden, ob Muttern sie verbloggt.
Babies, Kleinkinder und Schulkinder aber sollte man fernhalten, egal wie stolz man auf sie ist.
Mir gehen da allerdings auch die „tollen“ Tweets mit den Bonmots der Kinder auf die Nerven.
Guter Beitrag. Ich erkenne da meine Umgebung auch ein Stück weit wieder.
Apropos – »depperten Videoschnitzel aus der Früh-Ära der privaten Fernsehsender.«
Krasse Formulierung in dem Kommentar. Dazu fällt mir folgender Ausschnitt aus meiner Vergangenheit ein:
Ich kannte in meiner Jugend einen kleinen Jungen, dessen Schwester durch die Miniplaybackshow in der Nachbarschaft gehyped wurde. Das hat ihm und ihr sichtbar viel Schaden zugefügt. Sie bekam übertriebene Aufmerksamkeit, er das Gegenteil. Ich werde diesen Gesichtsausdruck nicht vergessen. Ein so junges Kind, so verhärtet, voller Bitterkeit.
Ich kann mich genau an hämische Kommentare erinnern, er bräuchte sich ja nichts einbilden, er wäre ja nicht so hübsch wie seine Schwester. „Mulattenkinder“ – war ein weiteres Schimpfwort das er über sich ergehen lassen musste.
Meines bescheidenen Wissens ist es der ganzen Familie nicht gut bekommen.
Dabei war der Traum, einmal auch im Fernsehen zu sein, doch wirklich nachvollziehbar. Aber Medienkompetenz war damals noch gar kein Wort. Und wenn überhaupt hieße es, mit einem Tageslichtprojektor umgehen zu können oder zu wissen wie man eine Videokassette zurück spult.
Verrückte Welt. Aber ich bin mir sicher, Kinder kommen auch mit dieser verrückten Welt klar.
Das sind wir damals auch. Schützenvereine, Polka, Polonaise, Rock n Roll, Twist, IKEA, Urlaubsstress, Scheidungskinder, Waldsterben, Ozonloch, Tschernobyl, Kalter Krieg, Mauer, Polaroid, Wassereis, Bubble Gum und Dieter Hallervorden …
Mit mittelalterlichen Grüßen,
yt