Fürze im Zauberland

Floyd Kommentieren Menschenskinder

Gastbeitrag von The Dirkness, der hier und da blöggt.


Es war endlich wieder Ruhe eingekehrt. Der Tagesordnungspunkt 4 „Spielzeugfreie Zeit“ schlug mit etwas mehr als einer Stunde Überzug hohe Wellen und sprengte den zeitlichen Rahmen der ersten bundesweiten Sitzung der Kita-Vertreter im Bielefelder Olympiastadion am vorvergangenen Wochenende. (Die traurige Geschichte vom Bielefelder Olympiastadion: Im Zuge seiner nationalen Bewerbung für die Olympischen Spiele hatte das Komittee in Bielefeld übersehen, dass für 1966 gar keine Spiele anberaumt waren, jedoch vorsorglich ein ansehnliches Stadion bauen lassen, das bereits in Vergessenheit geraten war, als Bielefeld zumindest in allen möglichen kartografischen Machwerken als real erscheinen sollte und die Macher das Verzeichnen des Stadions übersahen. So findet sich denn auch in keiner Karte und keinem Stadtplan das Olympiastadion.) Die immerhin knapp 41.000 anwesenden Eltern-Vertreter der rund 52.000 Kitas in Deutschland wussten sich der Lokalität angemessen in feinstem Südkurven-Choral bestens zu beschweren.

zunge raus prinzessin lillifee
Foto: Richard Leeming / CC BY 2.0

Wohl hatten die Organisatoren das angenommen und zunächst Punkt 5 „Bio-Essen“ angedacht – der dann, ebenfalls erwartungsgemäß durchgenickt wurde – und vorsorglich den geplanten sechsten und letzten Punkt nicht auf den der Einladungen (Comic Sans) beigefügten Tagesplänen vermerkt: „Lillifee, Sharky, Felix und Pupsi“. Sie müssen geahnt haben, dass Bielefeld selbst in seiner Nichtvorhandenheit noch grundlegend zerstört werden würde. Allein das Verlesen des PhanTOPs sorgte denn auch dafür, dass selbst die vielen angereisten Akademiker genussvoll in den Chor einstimmten, der in wüstesten Beleidigungen sogar das Schalke vs BVB-Derby zu übertreffen wusste, nachdem schnell und mit mächtigen Gebell erfolgreich der Ausschank verschiedener Alkoholika an den eigentlich geschlossenen Versorgungsbuden erzwungen worden war. Spätestens hier brachen wohl die Dämme und die deutlich zu wenigen Ordnungskräfte zapften also Bier und schenkten an höherprozentigem aus, was in Ostwestfalen am Samstagabend noch zu bekommen war, während etliche Hundertschaften der Polizei nach und nach eintrafen und versuchten, deeskalierend auf die aufgebrachten Eltern einzuwirken – genau beobachtet von einigen GSG9-Einheiten. (Unabhängige Beobachter wollen auch Bundeswehr-Kräfte gesehen haben, was mit dem Karlsruher Urteil vom August 2012 durchaus denkbar wäre, nachdem eben die Truppe in Ausnahmezuständen katastrophischen Ausmaßes im Inland eingreifen darf.)

Wie kommt es nun, dass junge, meist fürsorgliche, nicht selten gebildete und durchaus sich zumindest für die Kinder aufopfernde Eltern zu derartigen Ausschreitungen fähig sind, geht es um Comic-unwürdige Zeichenfiguren in klinisch problembefreiten Traumwelten?

Als Wolfgang Hölker 1977 den 1768 gegründeten Coppenrath-Verlag übernahm, war das Traditionshaus eher für volkskundliche Bücher und Universitätsschriften (!) bekannt. Zwar verhalf er dem Verlag zu steigenden Umsätzen, der Durchbruch und somit die Wurzel dieses Übels kam jedoch erst 2004 mit Erscheinen des ersten Lillifee-Buches – und dem seitdem auf über 350 Artikel aufgeblähten Merchandise-Apparat, mit dem der Verlag rund die Hälfte des Umsatzes macht. Zu der Prinzessin gesellte sich der Pirat, der freilich so rein gar nichts von dem tut, was ein Pirat so machen muss, um eben als Pirat durchzugehen, mit seinem eigenem Merchandise. Und der Hase und das Schwein und der Nacktmull und so weiter. Nacktmull? Nicht? Dann kommt der noch.

Natürlich muss man bezweifeln, dass es Hölker höchstselbst ist, der in den Gebüschen an Spielplätzen auf bisher unbespiegelburgte Kinder lauert und die schwarzmagischen Wörter „Lillifee“, „Sharky“ und so weiter murmelt, zischelt oder vogelstimmengleich tiriliert und unerkannt verschwindet, ist die Saat des Bösen in den unschuldigen Kinderseelen erst gesetzt. Es sind vielleicht die im Zuge des Rundfunkbeitrages obsolet gewordenen GEZ-Schnüffler oder pensionierte Geheimdienstler, die hier ihre Zweitkarriere aufbauen konnten. Doch ähnlich muss es zugehen, wenn man sich in der Elternszene umhört: Niemand, der seinen Kindern auch nur am Rande von den genannten berichtet. Selbst Eltern unter sich ziehen sich zusammen, runzeln die Stirnen, schauen sich angsterfüllt um und verfallen in ahnungs- wie unheilvolles Flüstern, wird das Thema auch nur angeschnitten. Auf keinen Fall darf das Gesagte den Raum verlassen oder gar in feinen Echos noch Monate später für die noch unverrock’n’rollten Kinderohren vernehmbar sein. Deshalb wird auch nicht selten darum gebeten, zunächst vor die Tür zu gehen. Nun, es ist, als spräche man von dem, dessen Namen nicht genannt werden darf. Und doch erlangen die Kinder Kenntnis – und wichtiger: Habenwollenmüssen – von Prinzesschen und Pirat, Hase und Schwein, der dunklen Seite der Macht. Ja, das Böse schlägt seine mächtigen Hauer in die bisher so unschuldigen Kinderseelen. Wenn der Grüffelo im Kinderzimmer um Einlass begehrt, sollten Eltern das als Warnung begreifen: „Er hat schreckliche Hauer und schreckliche Klauen“ ist weniger Beschreibung des im Verhältnis harmlosen und etwas einfältigen Viehs als vielmehr Prophezeihung eines weit schlimmeren drohenden Unheils. Und so ist später, wenn es längst zu spät ist, Lord Voldemort auch nur noch der, der den entgeldbeutelten jungen Eltern das wahrlich Schreckliche um dieses eher mäßig gezeichnete und umso dämonischer drohende Gespann bildlich zu verarbeiten helfen soll.

Auch die hin und wieder gescholtene Autocomplete-Funktion von Google versagt vollumfänglich, gibt man „Prinzessin Lillifee“ oder „Cäptn Sharky“ ein. Kein Wort der Warnung. Einige für Spiegelburg-Merchandise verprasste Jahresgehälter später erst fragt sich so manches Elternpaar, was da wohl geschehen sein mag. Hier beweist Google ein weiteres Mal, dass das Unternehmensmotto „Don’t be evil“ längst nur noch Lippenbekenntnis ist. Eben nicht böse zu sein hieße auch, junge Eltern eben vor dem Bösen zu bewahren, es zumindest zu versuchen.

Kinderbuchautoren sind zumeist und -recht die C-Promis unter den Schriftstellern. Max Goldt hatte schon erkannt, dass Buchautoren keineswegs Dichter oder Schriftsteller sind. (Max Goldt „Ä“, ISBN: 978-3251300655; hier wird aus vielen guten Gründen nicht auf einen satanischen Versandhändler verlinkt.) C-Promis, und das Wort ‚Promi‘ hat sich lange schon von seiner Herkunft ‚Prominenz‘ emanzipiert, halten in verschiedenen Genre zumeist eher für den Beweis her, dass es mit der Bildung in unseren Breiten nicht sehr weit her ist und wir auch nach dem Stand der Dinge nicht mit Besserung rechnen sollten. Umso logischer nebenbei, dass die C-Promis dann auch ab und an nicht einmal aus unseren Breiten stammen müssen. Nun, und C-Promis sind es auch, die z.B. zunächst der deutschen, doch wahrscheinlich auch globalen Fernsehkultur dabei halfen, das mit Gründung von Privatsendern geschaufelte Grab, in dem sie, die Fernsehkultur, stand, zuzuschaufeln. Durchaus also böse.

Und so sind denn Kinderbuchautoren ab und an schon C-Promis, bevor sie ihr unleugbares Talent für mageren Satzbau in bare Münze umzuwandeln gedenken. Im Falle Pupsi oder Lillifee mag das anders sein, doch Qualität konnte ich nach Lektüre einiger z.B. Sharky-Hefte, die zweimonatlich für die Zielgruppe gut sichtbar in Zeitungsfachgeschäften zum Preis von € 3,50 ausliegen, nicht erkennen. Auch das vorsorglich mitgelieferte Fernrohr half mir nicht, Qualität auszumachen. Es wird indes gern kolportiert, die Reihen wären pädagogisch wertvoll. Mag sein. Doch Konflikte, Grenzauslotungen und -überschreitungen, Abseitiges, Schockierendes und beispielsweise im Falle Cäpt’n Sharky reales, (nämlich saufende, plündernde, auch tötende und also gefährliche Piraten [und doch so gern romantisiert; Vgl. z.B. auch Vampir]) an denen auch derart junge Menschen reifen können und sollen, finden in diesen keimfreien Traumblasen nicht statt. Selbst in ihrer Blasigkeit erscheinen die Welten irgendwie nicht real. Erinnert man sich an Seifenblasen, erinnert man sich an den feinen öligen und regenbogenfarbenen Überzug – die Coppenrath’schen Blasen sind grell rosa oder indifferent bunt. Wie dem sei: Das Ende des Lebens der Blase jedoch ist das Zerplatzen.

Wird man sich seiner Knechtschaft im crossmedialen Marketing-Imperium bewusst, kann man vielleicht beginnen, gegenzulenken. Wird man es nicht, warten global schon die Folgehelden. Spider-Man beispielsweise. Obwohl Spider-Man unter den Comic-Helden für Laien eher nicht die erste Geige spielt – hier wettgeigen wohl Superman und Batman; und gottseidank fidelt nicht auch noch Dings Garrett mit, der André Rieu unter den Rockern – ist er bereits im Vorschulalter omnipräsent. Hin und wieder prallen die Parallelwelten aufeinander und der Sohn spielt im Spider-Man-Kostüm mit dem o.g. Fernrohr und dem Piratenschiff. Und so werfen 5-6jährige Knaben den Wunsch nach Sharky- oder eben wahlweise Spider-Man-Schulranzen in die knapp bemessenen familiären Friedenszeiten – und Haushaltskassen. Mein Sohn ist einsichtig dahingehend, dass Sharky und Spider-Man in zwei, drei Jahren für ihn vielleicht keine Rolle mehr spielen. Ich hoffe, weil ich bereits am Anfang der Sharky-Junkie-Karriere warnend und mahnend meine Finger gehoben habe – freilich zunächst scheinbar unerhört. So mag meine halbwegs kindgerecht vorgebrachte Kritik nach, ich weiß nicht, zwei Jahren oder so Nachhall von den oben erwähnten feinen Kinderohren letztlich wahrgenommen sein, natürlich nur soweit man einem dreijährigen Marketing-Tricks erklären kann.

Wie in nahezu allen Bereichen ist auch hier Maßfinden angezeigt. Weder gegen Spidy noch gegen Sharky in der Federtasche werde ich groß Kritik vorbringen. So ein Bleistift erlebt ja im Grunde nie das Ende der Inderhandhaltbarkeit. Und so können nach einigen verschwundenen oder zerbrochenen Bleistiften mit lizenzpflichtigen Aufdrucken bald mit neutralen oder anderweitig kinderaugenerfreuenden versehene das elterliche innere Murren ruhigstellen.

Es sind oft recht banale und schnell erkennbare Einsichten, die man im Elternsein findet. Bedauerlicherweise werden diese Erknenntnisse selten bis nie von den bereits etwas vorausseienden Eltern an die Frischlinge unter den Eltern herangetragen. Mit Durchschlaf-Durchhalteparolen wird man von allen Seiten, um im Bilde zu bleiben, mit Kanonen beschossen. Wie man jedoch beispielsweise zweijährigen jeglichen Geschlechtes den Schnuller/Nuckel abgewöhnt, ohne selbst medikamentenabhängig zu werden, dass Kleinstkinder unter Umständen mehr und mehr quängeln, weil sie vlt wegen Defäkationsunfähigkeit Bauchschmerzen haben und es sich empfiehlt, immer ein paar Mikro-Klistiere in Haus und Reiseapotheke zu haben und eben ein bewussterer und durchaus kritischer Umgang mit seinen Kindern in Bezug z.B. auf Merchandise-Produkte verschiedenster Art, die letztlich auf das Portemonnaie der jungen Eltern abzielen, die ja gern ihren Kindern wenige Wünsche unerfüllt lassen möchten und so immer noch ein paar (hundert) Euro ausgeben. Und auch die fundierte sowie kindgerecht und vielleicht ab und an, also mehrmalig dargebrachte Kritik an fiesen Marketing-Tricks muss in Kinderohren nicht ungehört verhallen.

Die Tumulte in Bielfeld sind medial nicht beachtet worden. Sehr vorteilhaft zur Vermeidung der aufschreckenden Berichte war natürlich ein gewisser kleiner weltweiter Überwachungsskandal unter Freunden dritter Klasse, der sich gleich der Coppenrath’schen Merchandise-Stände in Buchhandelsketten sehr in den Vordergrund zu drängen wusste und eine schillernde Nebelkerze abgab und -gibt. Denn junge Eltern, die letzten Hoffnungsträger im geburtenarmen Deutschland, letzte Bastion, also gewissermaßen das kleine gallische Dorf, dass sich dem demografischen Wandel, ach was: Untergang entgegenstemmt, diese jungen Eltern also in blutigen Ausschreitungen verwickelt, zum einen; zum anderen eine Prime-Time Werbeshow für den ohnehin schon Branchenprimus Coppenrath im Zuge der Berichterstattung? Die Kanzlerin höchstselbst liess die scheinbar dumme #Neuland-Phrase in den Raum fallen, die kritische Beobachter darauf hinweisen hätte können, dass es hier gar nicht um ein kleines globales Gerangel geht, sondern die Assoziation mit dem Entdecker-Potential von Seefahrern, also Abenteurern und so weiter -> Piraten am Ende ein unbewusster Wink mit der Piratenflagge war.

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