Sind die Wahlplakatmotive der FDP mit dem Konterfei von Ulrich Goll fotografisch gelungen oder nicht? Wie immer eine ganz bescheidene subjektive Analyse meinerseits. In Kürze zusammengefasst: an den FDP Plakaten erkennt man, dass wir endgültig im digitalen Zeitalter angekommen sind. Ob das immer von Vorteil ist? Die Idee für diese Analyse beruht auf einen Kommentar von Jan Kercher bei der Analyse des Wahlplakats von Nils Schmid. Danke Jan für deinen Vorschlag.
Gedanken zum digitalen Zeitalter
Das kann ich mir einfach nicht verkneifen. Inzwischen ist jedem bewusst, dass fast alle Fotos am Computer nachbearbeitet werden. Mit Hilfe von Photoshop kann man komplexe Kompositionen erstellen. Keine Frage. Die Geister scheiden sich meist daran, ob eine Komposition möglichst realitätsnah, oder bewusst künstlich wirken soll. Persönlich finde ich beides völlig in Ordnung, wenn einer der beiden Wege konsequent umgesetzt ist. Die Wahlplakate auf denen Ulrich Goll zu sehen ist, sind es aus meiner Sicht definitiv nicht. Auch wenn er versucht in lockerer Kleidung einen kumpelhaften Eindruck zu vermitteln.
Wahlplakat Ulrich Goll (FDP) zur Landtagswahl Baden-Württemberg 2011
1. Spieglungen im Glas
Die Spiegelungen in den Fenstern wirken aus meiner Sicht falsch und deplatziert. Erstens empfinde ich diese Spiegelungen als eher störend im Gesamtbild. Zweitens ist vor allem bei der Spiegelung rechts neben Herrn Goll eindeutig zu sehen, dass eine Spiegelung niemals so abrupt vertikal zum rechten Bildrand enden würde.
2. Strebe zwischen den Fenstern
Lasst es mich einfach mal das Nils Schmid Syndrom nennen. Denn bereits da habe ich darauf hingewiesen, dass es nicht besonders vorteilhaft ist, wenn hinter dem Protagonisten eine störende Linie verläuft. Bei Ulrich Goll wächst sie aus der rechten Schulter heraus. Ein Stück weiter unten kann man neben dem Pullover noch einmal so ein kleines Stück dieser „Fensterverbindungslinie“ bewundern, die dann zack nach rechts weiterverläuft. Es wäre ratsam gewesen zumindest das Stück neben dem Pullover zu retuschieren. Einfach beim Pullover ein Stück dazu retuschieren und fertig. Wenn man schon fully digital alles so schön bearbeitet.
3. Das T-Shirt
Ja, haltet mich für altmodisch oder kleinlich oder oder oder. Aber ein T-Shirt unter einem Hemd? Das geht einfach gar nicht. Und wenn, dann sollte man zumindest das Hemd nicht bis ganz oben zuknöpfen. Entweder locker und lässig, oder eben nicht.
4. Sonne, liebe Sonne, magst du ein Stück Kuchen
Da wurde das Foto aber genau am richtigen Tag gemacht, oder? Die Sonne lacht gemeinsam mit Herrn Goll in die Kamera. Wer lacht da eigentlich breiter? Gut, meine Vermutung lasse ich jetzt mal aussen vor. Es geht schliesslich um eine Analyse. Auf jeden Fall sehr seltsam: die Sonne scheint in einem warmen Farbton. Das Licht auf Herrn Golls linker Gesichtshälfte (die dem Fenster zugenwandte) erscheint dagegen eher in einem kühlen Farbton.
5. Der magische sechste Finger
Zuerst war ich tatsächlich etwas sprachlos. Und nein, für diese Auffälligkeit habe ich nicht suchen müssen. Das war der erste Punkt, der mir ins Auge gefallen ist, als ich das Plakat gesehen habe. Zwischen kleinem Finger und Ringfinger sieht man ein Stück der Wand durch. Diese Stelle jedoch wirkt wie ein Ring, der aber an keinem Finger befetitgt ist. Ich habe erst kurz überlegt, ob der Finger sich unter dem Pullover versteckt, weil da eine kleine Falte zu sehen ist, die das vermuten lassen könnte. Aber beim Nachzählen habe ich gemerkt, dass Herr Goll dann sechs Finger haben müsste.
6. Die linke Hand
Macht doch mal bitte den Selbstversuch und lehnt euch an ein Fensterbrett und schaut zum Fenster hinaus. Würdet ihr eure Hand jemals so halten? Nein, ich bin kein Verschwörungstheoretiker, ich finde die Handhaltung komplett unnatürlich. Meine Vermutung ist eher, dass sie zur Aussage des Gesamtplakats passen soll. Ein bisschen herrschend darf es aussehen, aber nicht zu stark bitte. Zu weit hergeholt? Könnte sein.
7. Hat der Mann eine Kraft
Ganz beliebte Pose, auch unter Models. „Komm schon, Baby, die Hand in die Hüfte, und dreh dich und lauf. Und wieder zurück und so weiter.“ Leider hält sich Herr Goll hier mit voller Kraft an seiner Hüfte fest, was einen etwas komischen Faltenwurf des Pullovers hervorruft. Aber auch die Beule im Pullover über seiner Hand lässt sich auf diesen festen Griff zurückführen. Und dann gibt es noch eine Beule, aber die hebe ich mir bis zum Schluß auf;)
8. Licht und Schatten wo seid ihr?
Diese künstliche Stimmung fast aller Plakate entsteht hauptsächlich durch das Ignorieren von Licht und Schatten. Man sagt ja auch, Fotografieren sei das Malen mit Licht. Wenn es aber nur Licht gibt, dann entsteht ein verzerrter Eindruck der Realität. Licht von aussen und Licht von innen halten sich die Waage. Alles ist perfekt ausgeleuchtet, zu perfekt. Die Decke ist genauso hell wie die Wand seitlich und die Wand hinten. Es entsteht der Eindruck, dass Herr Goll in einem Glashaus sitzt und sich die tolle Stadt ansieht. In einer Art futuristischen Zeitkapsel, die ihn von Raum und Zeit trennt. Und dahinter, ja, da liegt die Stadt so schön und friedlich. Durch die Gleichgewichtung von „Aussenwelt“ und „Innenwelt“ wird der Erfahrungsschatz den wir haben ad absurdum geführt. Mir fehlt definitiv Schatten in diesem Motiv. Vielleicht auch nur innerhalb des Raumes. Aber wo Licht ist sollte eben auch Schatten sein. Das liegt nun einmal in der Natur der Sache. Statt Schatten aber zwei Hauptlichter zu verwenden ist der Sache nicht dienlich, eher störend. Es gibt eine ausgewogene Beleuchtung oder eine mit einem Haupt Richtungslicht. Die eine Hauptlichtquelle soll die Sonne sein. Das andere Hauptlicht kommt genau von der anderen Seite. Zwei Hauptlichter widerstreben dem Betrachter, der aus seiner alltäglichen Erfahrung ebenfalls nur eine Hauptlichtquelle kennt. Die Sonne. Maximal kann es noch eine Aufhellung auf der anderen Seite geben, aber niemals sind beide Hauptlichter gleich stark. Irritierend.
9. Motor FDP und die Beule dahinter
Beim Querformat dieses Plakats habe ich mich die ganze Zeit gefragt, warum das Logo der FDP so ungeschickt platziert ist. Mal unter uns, wäre es ein Feigenblatt könnte man sich fast ins Paradies zurückversetzt fühlen. Aber weil es sich hier nicht um Adam handelt, sondern um Ulrich, bin ich auf die Suche gegangen. Und fündig geworden. Das Plakat gibt es ebenfalls im Hochformat. Da ist das Logo an einer anderen Stelle positioniert. Und was sehe ich da? Eine ausgebeulte Hose;)
Ein weiteres FDP Wahlplakat mit Ulrich Goll als Motiv
Dieses Plakat werde ich jetzt nicht in allzu großem Umfang analysieren. Nur trägt es sehr gut zum Gesamteindruck der FDP Wahlkampagne bei. Auch hier eine wunderbar abstruse, idyllisch künstlich wirkende Stimmung. Hinter den Protagonisten die Sonne und diese sitzen gerade in einem Meeting. Ein wirklich absolut unspassender Hintergrund und eine Straße wurden auch noch in das Bild retuschiert. Man, ich bin persönlich total betroffen. Bei jedem Foto der FDP scheint die Sonne. Blauer Himmel und nur ein paar Wölkchen. Das ist die Zukunft. Das ist der Motor. Warum Herr Goll hier einen Anzug trägt und auf dem anderen Motiv locker gekleidet daherkommt werde ich auch nicht mehr verstehen. Das Meeting wirkt jetzt nicht zwingend hochpolitisch. Hier wurde beim Freistellen der Konferenzsituation auch ein wenig lapidar gearbeitet. Aber mehr dazu in der folgenden Ausführung.
Mein Widerspruch zur Analyse des Designtagebuchs
Wie sie drüben beim designtagebuch bei ihrer Wahlplakatanalyse aller Parteien die FDP als Gewinner ermitteln konnten ist mir bis jetzt schleierhaft. Da steht wortwörtlich:
Umso erfreulicher ist es, wie sich die FDP in Baden-Württemberg auf Plakaten präsentiert. Überzeugendes Foto-Artwork steht im Mittelpunkt der sehr klar strukturierten Motive, die farblich auf die Hausfarben Gelb und Blau abgestimmt sind.
Überzeugendes Foto-Artwork? Als große Abbildung folgt ein Plakat, das aus meiner Sicht handwerklich am miserabelsten umgesetzt ist, nämlich dieses hier:
Lassen wir mal den Wahlspruch aussen vor. Bei diesem Motiv hat es den umsetzenden Grafikern wohl endgültig gereicht. Keine Lust mehr auf Freistellen. Photoshop, die alte Bestie. Dem Jungen wird ein halbes Ohr abgeschnitten. Die Haare, ja ich weiss, das ist keine leichte Aufgabe, aber die Haare aller Personen sind handwerklich einfach miserabel freigestellt. Die Schulter des Jungen hat noch etwas abbekommen. Dann ist da dieser irritierende Wechsel zwischen weichen und harten Kanten am Rand der Personen. Sorry, liebes Designtagebuch. Ich simme euch in vielen Punkten eurer Analyse zu, aber habt ihr euch das Motiv auch handwerklich angesehen? Mal ganz zu schweigen davon, dass man dieses Motiv mit viel weniger Aufwand vor denau diesem Hintergrund hätte fotografieren können. Es gibt sie seit Ewigkeiten, die Verlaufhintergründe für Fotografen. Letztendlich ist es immer besser ein Motiv soweit es die Umstände zulassen so zu fotografieren, dass man das Freistellen verhindern kann. Aber dieses Plakat wird bei mir einen Ehrenplatz bekommen. Prädestiniert wäre dieses Plakat auch für Photoshop Desasters.
Fazit meiner Interpretation
Tatsächlich finde ich die Farben blau und gelb der FDP schön. Leider geht es in diesem Artikel aber um eine fotografische Analyse und den Gesamteindruck der Wahlplakate der FDP. Herr Goll hat auf allen Motiven immer allerbeste Laune. Zumindest ein Politiker, dem das Grinsen noch nicht vergangen ist. Das Lachen wirkt etwas zu übertrieben, aber das ist wie immer meine subjektive Einschätzung. Nicht meine subjektive Meinung ist hoffentlich, dass die Plakate der FDP einen sehr sehr künstlichen Eindruck vermitteln. Das ist nicht die Welt in der wir leben, das ist die Welt wie wir sie uns in Photoshop oder anderen Bildbearbeitungsprogrammen hindrehen. Dies soll uns den Eindruck von unendlicher Schönheit vermitteln, die aus meiner Sicht in Teilen gelungen ist. Aber eben nur in Teilen. Ich persönlich lebe nicht in dieser abstrakten Photoshop Welt.
Hinweis
Ulrich Goll hat es mit diesem Artikel bereits zum dritten Mal hierher geschafft. Auffällig wurde er zum ersten Mal, als sein Plakat direkt neben einem Pinocchio Plakat hing. Das zweite Mal fiel er mir an gleicher Stelle ins Auge, allerdings mit einigen Aufklebern ausgestattet.
UPDATE 19.03.2011
Nachdem der erste Kommentar mich zum Nachdenken gebracht hat schreibe ich hier kurz meine Meinung dazu. Wer die Ironie hinter dem Kritikpunkt T-Shirt nicht erkennt, dem sei gesagt es ist eine ganze Portion Ironie dabei. Meine Einstellung zu den FDP Plakaten behalte ich aber weiter bei. Die wunderbar heile Welt des Herrn Goll finde ich zu sauber, zu clean und einfach völlig fernab aller meiner Weltanschauungen. Um das nachvollziehbar zu machen, hier ein Foto von Herrn Ulrich Goll aus der ZDF Dokumentation „Bürger auf den Barrikaden“.
Ich bin ja kein Freund der FDP, aber was sollen denn diese „aus der Nase gepulten“ Kritikpunkte? Bei „ein T-Shirt unter dem Hemd geht gar nicht“ habe ich aufgehört, den Artikel ernst zu nehmen.
Danke für deinen Kommentar. Mit dem T-Shirt hast du recht. Das habe ich aber auch dazu geschrieben. Allerdings hättest du ruhig zu Ende lesen können. Denn dass die Motive dilletantisch bearbeitet wurden ist offensichtlich. Und dass Herr Golls Zähne ganz herrlich nachbearbeitet wurden habe ich schon gar nicht mehr geschrieben. Kannst ja mal nach einem echten Goll Foto googeln und vergleichen. Ich bleibe bei meinem Fazit: die künstliche Welt des Herrn Goll.
Als ich diese Plakate an der Autobahnausfahrt morgens sah, ich war fast geblendet von den Zähnen. Da dachte ich „Siegfried & Roy“ kommen auf Tour? Aber das Ding mit dem Motor. Was soll uns das sagen? Wollen die geschmiert werden? Wer ist der Schmiernippel?