Der twitternde Mob und die Kurzmeldung der Stuttgarter Nachrichten zu den Unruhen in England

Floyd 1 Kommentar Der letzte Fake, Polit(r)i(c)k, WWW

Ein Journalist der Stuttgarter Nachrichten hat eine Nachricht in die Welt entlassen, die ihresgleichen sucht. Thema diesmal: die Unruhen in England. Folgender Satz leitet die Kurzmeldung ein:

In London wütet der twitternde Mob, plündert, raubt und brandschatzt der jugendliche Pöbel – aus Frust, aus Wut, aus Spaß.

Twitternder Mob und Twitterdemagogen

Diese Verächtlichkeit, mit der hier erneut auf in diesem Fall Twitter eingeschlagen wird überrascht nicht. Letztendlich geht es um das Massenkommunikationsmittel Internet und seine Dienste in ihrer Gesamtheit. Oder auch den Messenger Dienst von Blackberry. Was aber nutzt dieses ständige Kritisieren der Dienste, wenn sie gleichzeitig selbst genutzt werden? Folglich können diese Plattformen nicht per se schlecht sein, ansonsten würde man sich selbst nicht beteiligen. Ja, die Welt wird schneller. Ja, die Welt wird vernetzter. Und ein großes JA, die Realität und dieses Internet sind früher eins geworden, als es sich der Verfasser dieser Meldung gewünscht hätte.

Früher hätte man sich per Telefonkette organisiert. Heute eben über Twitter oder andere Dienste. Der Ausdruck „twitternder Mob“ erinnert mich sehr stark an die sogenannten „Twitterdemagogen„, die Herr Molitor, stellvertretender Chefredakteur der Stuttgarter Nachrichten ins Leben rief. Damals zum Thema Stuttgart 21. Ständig habe ich das Bild vor Augen, dass eine gewaltige Menschenmenge mit Smartphones in den Händen auf mich zurennt, kurz vor mir stehen bleibt, um sich dann über Twitter Verstärkung zu holen. So ein ausgemachter Unfug. Die gewaltigen Auseinandersetzungen in London heisse ich keinesfalls gut, die Haltung einer Stuttgarter Tageszeitung dazu aber noch weniger.

Die Zukunft ist jetzt

Natürlich könnte man seiner eigenen verlorenen Monopolstellung in Sachen Informationsfluss nachtrauern. Dies bedeutet aber auch die Energie in falsche Bahnen zu lenken. Wer glaubt noch ernsthaft daran, dass die sozialen Plattformen wieder verschwinden? Folglich sollte man diese Plattformen, die ja auch nicht erst seit heute existieren, akzeptieren und wertschätzen. Die Stuttgarter Nachrichten fragen selbst bei Facebook, ob Fans jemanden kennen, der zur Zeit in England verweilt. Da liest man folgendes:

Ist von Euch eigentlich gerade jemand in London/Manchester/Liverpool oder kennt jemanden, der gerade in Großbritannien weilt und kann uns einen Kontakt hersetllen? Dann schreibt uns doch Eure Eindrücke. Oder habt Ihr eine geplante Reise gar abgesagt? Wir freuen uns über Euer Feedback für eine der nächsten StN-Ausgaben.

Dieses böse Internet mit seinen bösen sozialen Plattformen verhilft den Stuttgarter Nachrichten zu Augenzeugen? Wow. Das muss schrecklich sein. HALT. STOPP. Ich weiss, dass in euren Köpfen der Satz „Das ist doch etwas ganz anderes“ umherschwirrt. Ist es das wirklich? Nein, denn schlussendlich geht es um die Übermittlung von Informationen, zuerst einmal ohne Bewertung ihres Inhaltes. Mit dem Begriff des „twitternden Mobs“ werden einmal mehr Ängste geschürt. Ängste bei Nichtwissenden. Für mich ist diese Behauptung einfach nur kindisch. Und würden die Stuttgarter Nachrichten nicht solche sinnbefreiten Kurzmeldungen veröffentlichen hätte ich vielleicht diese Augenzeugin empfohlen.

Das Internet bei Unruhen abschalten?

Nehmen wir an, dass Twitter gesperrt würde, was dem Urheber dieser grandiosen StN (Stuttgarter Nachrichten) Meldung sicherlich nicht unrecht wäre (reine Spekulation meinerseites), was wäre gewonnen? Nehmen wir an Blackberry würde seinen Messenger Dienst für die entsprechenden Rufnummern sperren. Oder gar das ganze Netz für die betroffenen Nummern? Was wäre gewonnen? Nichts. Dass eine Drosselung oder Sperrung nichts bringt, zeigte sich doch sehr gut an den Demonstrationen in Ägypten. Es wird immer Wege geben, digital oder real. Dass die Bay Area Rapid Transit (BART) in San Francisco das Mobilfunksignal in den U-Bahn-Tunneln abgeschaltet hat, um mögliche Unruhen zu vermeiden, sollte als Negativbeispiel dienen. Natürlich dauerte es nicht lange und „Anonymous“ hackte die Verkehrsbetriebe von San Francisco und stellte einige Datensätze ins Internet.

Unruhen in England haben Geschichte

Dass die sozialen Plattformen im Internet diese Taten in London nicht zu verantworten haben zeigt sich an der langen Historie der Riots in England. Zuletzt 1981 in Brixton. Dies darf man nicht einfach wegwischen. Wie haben sich die Menschen 1981 wohl organisiert? Wie konnten so viele Menschen auf die Straße gehen, Autos anzünden, gegen die Polizei vorgehen?

Der Mensch hat zu jederzeit die geeigneten Kommunikationswege gefunden. Das Internet beschleunigt lediglich diese Kommunikation. Ein nicht vorhandenes Internet hätte die aktuellen Riots niemals verhindert, nur zeitlich verzögert.

The Clash sang damals bereits ein Jahr vor den Brixton Riots über die sozialen Zustände in dem Song „The guns of Brixton„:

When they kick at your front door
How you gonna come?
With your hands on your head
Or on the trigger of your gun

When the law break in
How you gonna go?
Shot down on the pavement
Or waiting in death row

You can crush us
You can bruise us
But you’ll have to answer to
Oh – the guns of Brixton

The money feels good
And your life you like it well
But surely your time will come
As in heaven as in hell

You see he feels like Ivan
Born under the Brixton sun
His game is called survivin‘
At the end of The harder they come

You know it means no mercy
They caught him with a gun
No need for the Black Maria
Goodbye to the Brixton sun

You can crush us
You can bruise us
Yes, even shoot us
But Oh – the guns of Brixton

Der Nutzen der sozialen Plattformen überwiegt

Wie an vielen Stellen dieses Internets zu lesen ist haben sich über Twitter nicht nur Krawallmacher verabredet, sondern auch Bürger zum freiwilligen großen Reinemachen über den Hashtag #riotcleanup organisiert. Die Polizei sucht via flickr nach einigen an den Unruhen beteiligten Personen. Über Twitter schiesst man ebenfalls ein paar Nachrichten raus, veröffentlicht Namen von Personen, Geburtsdatum und Adresse.

Nur Krawallmacher aus Frust, aus Wut, aus Spaß?

Zurück zur Kurzmeldung der StN. Für mich eines der medialsten Wunder ist die Feststellung, dass sich in England ausschliesslich Menschen mit kriminellen Energien zusammenrotten und daher jeder Ruf nach einer politischen Forderung naiv sei, gleichzeitig aber festgestellt wird, dass die Menschen auch aus Wut und Frust auf die Straße gehen. Wut auf wen oder was? Frustriert über welche Umstände? Ich weiss nicht welche Bilder der Urheber dieser Kurzmeldung vor Augen hatte, aber auf Videos sah man teilweise 11/12 jährige, die an den Riots beteiligt waren. Da soll jegliche politische Forderung naiv sein? Eine Farce. Politisch Verantwortliche sollen sich also nicht fragen, warum 11/12-jährige Kinder an diesen Unruhen beteiligt sind? Wie gedenkt der Herr Journalist, dass sich die Situation denn verbessern liesse? Durch dauerhaften Einsatz von Wasserwerfern und Schlagstöcken?

Vielleicht sollten Teile der Politik und der Medien einmal über ihre eigene Rolle in der heutigen Zeit nachdenken. Politik um der Politik Willen aufrecht zu erhalten, um das einmal erlangte System nicht umdenken zu müssen, das kann jedenfalls keine Lösung sein. Journalisten wie dieser Herr (vielleicht war es auch eine Frau) der StN sollten noch einmal über ihre Aufgabe nachdenken. Nicht umsonst wird Journalismus auch die 4. Gewalt im Staat genannt. Die journalisitischen „Werke“ sollten der Meinungsbildung dienen und nicht der Meinungsmache. Mensch, da kriege ich so einen Hals.

Was also diese populistische Kurzmeldung der Stuttgarter Nachrichten betrifft frage ich mich was der Sinn hinter diese Meldung sein sollte. Einfach mal Stellung beziehen, persönlich Stimmung machen? Aber diese Meldung hätte man sich sparen müssen! Denn das Internet vergisst bekanntlich nicht.

Bildnachweis
Kim Aldis, CC-BY-NC-ND

Eine Meinung zu “Der twitternde Mob und die Kurzmeldung der Stuttgarter Nachrichten zu den Unruhen in England

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