Einer musste ja Oberbürgermeister der Stadt Stuttgart werden. Die Zwischenergebnisse deuteten bereits alle auf Fritz Kuhn hin, der am Ende die Wahl auch gewonnen hat. Dennoch ist Kuhn nicht der Gewinner, ebenso Sebastian Turner nicht. Sicherlich, auf dem Papier wird Fritz Kuhn als Gewinner deklariert. Einen nicht unerheblichen Teil der Stimmen dürfte aber den „Sebastian Turner Verhinderungswählern“ zuzurechnen sein. Für den neuen OB natürlich unerheblich, für die Gesellschaft aber nicht.
Die eigenwillige Welt der CDU
Manchmal frage ich mich, warum ich mir das alles durchlese. Als einen der ersten Schritte nach der Wahl las ich einige Internetseiten (Facebook, Twitter, etc.) der beteiligten Wahlverlierer. Auf der Facebook-Seite von Sebastian Turner wurde mir einmal mehr klar, wie verblendet diese ganze Wahlgedönse ist. Schreibt tatsächlich jemand folgenden Kommentar:
…Fritz Kuhn musste im Wahlkampf Zugeständnisse machen, die dem Bonbon des Wahlsieges sicher einen bitteren Beigeschmack verleihen; die schlimmsten Gefahren für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes und der Stadt sind gebannt, da Herr Kuhn entsprechende, nicht mehr haltbare Standpunkte aus seinem Programm streichen musste…
Die CDU hat folglich mit ihrem Wahlkampf das Schlimmste für Stuttgart verhindert. Ebenso äussert sich der FDP-Kreisvorsitzende, Armin Serwani:
Wir haben erreicht, dass es mit Kuhn keine City-Maut geben wird.
Was sagt Herr Turner selbst zum Ergebnis der OB-Wahl? Das ZDF fragte im heute journal:
Die Gründe für ihre Niederlage?
Ich habe deutlich mehr Stimmen gewonnen, als bei der Landtagswahl vom bürgerlichen Lager gewonnen wurden. Insofern glaube ich, ist es eine ganz gute Bilanz.
Bereits nach dem ersten Wahlgang las man auf der FB-Seite des Herrn Turner:
…Das Wahlergebnis zeigt klar, dass die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler sich einen parteilosen und überparteilichen Oberbürgermeister wünscht…
So sehr sich meine Gehirnwindungen anstrengen diese Worte zu verarbeiten, es gelingt ihnen nicht. All das bleibt für mich ohne Worte und wird unter der Kategorie „Nur nicht das Gesicht verlieren“ abgeheftet. Was mich aber schon immer interessiert hat: wer ist eigentlich dieses bürgerliche Lager, von dem die CDU und auch Herr Turner ständig reden. Ist es das Lager, das sich bereits vor Jahren begonnen hat aufzulösen? Mir ist dieser Begriff völlig fremd. Ich lebe mit Menschen in einer Stadt, die unterschiedliche Bedürfnisse haben. Diese Bedürfnisse werden zukünftig nicht mehr von Parteien, sondern von Interessensgemeinschaften zu vertreten sein. Bis dahin werden noch Jahrzehnte vergehen. Aber das ist eine andere Diskussion.
Fritz Kuhn – der zweite Verlierer der OB-Wahl
Hier sitze ich nun und überlege, wie ich meine Gedanken zu Fritz Kuhn am besten festhalten kann. Der neue Oberbürgermeister von Stuttgart wird kein leichtes Spiel haben. Auch wenn auserhalb Stuttgarts der Bahnhofsstreit nicht mehr wahrgenommen wird. In der Stadt ist das Thema weiterhin präsent, wenn auch nicht so allgegenwärtig, wie vor einem oder zwei Jahren. Auch für Fritz Kuhn gilt: der Kostendeckel wird nicht überschritten. Auf der FB-Seite steht klar:
…Die Bahn hat bei Stuttgart 21 ein zukunftsfähiges Projekt versprochen, welches bestgeplant und kostensicher sei. Dieses Versprechen muss die Bahn einlösen. Der Kostendeckel gilt. Ob für Stadt oder Land, das haben die Gremien beschlossen…
Insgeheim sehe ich den Tag schon vor mir, an dem den Bürger_innen weitere Kostensteigerungen schmackhaft gemacht werden. Von den Grünen im Land und in der Stadt. Wie werden sie der Sprechklausel im Vertrag des neuen Bahnhofs entgegenwirken? Und noch was: wer begleitet das Projekt kritisch? Von der grün-roten Landesregierung erwarte ich nichts. Wer sich schon bei den mangelhaften Plänen zum Brandschutz im Nachhinein bestürzt zeigt und Aufklärung fordert, der hat die Aufgabe „kritische Begleitung des Projekts“ falsch verstanden. Oder aber verstanden und bewusst nicht umgesetzt. Man braucht nicht die Fähigkeiten eines Propheten, sondern die eines Realisten. Diese fehlen mir. Wenn zukünftig alle Projekte in Stadt und Land von den Grünen so kritisch begleitet werden, dann wird dies die letzte Amtszeit der Grünen sein. Sowohl in Stadt, als auch im Land.
Proaktiv im Sinne des Landes und der Stadt handeln
Die Volksabstimmung zum Thema Bahnhof und Finanzierung kann man nicht übergehen. Man könnte natürlich anführen, dass bei den Kosten zum Projekt die Bevölkerung das ein oder andere Mal getäuscht wurde. Man könnte anführen, dass die Ergebnisse der Schlichtung bisher kaum Beachtung bei der weiteren Planung gefunden haben. Müssen sie ja auch nicht. Doch all das nützt nichts. Eher müsste ein Herr Geißler zurück auf die Bildfläche treten, um die Forderungen der Schlichtung zu überprüfen.
Allen jubelnden Grün-Wählern, die der Meinung sind, dass die Grünen das Projekt kritisch begleiten würden, stelle ich folgende Frage: Wo hat die Landesregierung das Projekt bisher kritisch begleitet? Wo hat die Landesregierung proaktiv für eine Klarheit innerhalb des Projekts gesorgt? Vielleicht habe ich es nur nicht mitbekommen. Für Hinweise wäre ich dankbar.
Das spannende und das ist egal welche Partei gewonnen hat, das man ja leider nie alle zufrieden stellen kann. Von daher wird es spannend wie Kuhn es schaffen wir die „gespaltenen“ Lager, wenn es diese überhaupt in diesem schwarz/weiss Denken gibt zusammenzubringen.
Was du aber auch noch anmerken kannst sind eigentlich die 3. Verlierer der Wahl. Und das sind eigentlich die Parteien, die keinen eigenen Kandidaten aufgestellt haben. Wie bitte erkläre ich das meinen „Stammwählern“ das es der CDU, SPD & FDP anscheinend nicht mehr wichtig genug zu sein einen eigenen Kandidaten aufzustellen, und sich hinter einer „parteilosen“ Maionette zu verstecken und hoffen das das schon gutgehen wird. Klar man hat 2 Vorteile: Ich kann erstens mich bedeckt halten wenn der Kandidat verliert (ist ja kein Partei-Kandidat) und falls er dann doch gewinnen sollte, kann man aus der Versenkung krabbeln und sagen „ah, schau mal her, deswegen haben wir den die ganze zeit unterstützt“.
Das Problem: Der Otto-Normalo-Wähler is ja nicht dumm.
Kuhn wird keine „gespaltenen“ Lager zusammenführen können. Dazu müsste erstmal jemand seine Gesprächsbereitschaft äussern, oder? Das habe ich weder von Turner, noch von Kuhn vernehmen können. Zeit hätten sie ja gehabt.
Mit den parteilosen Kandidaten haben sich die etablierten Parteien einfach verspielt. Falsches Pferd. Wobei ich mir nicht sicher bin, ob z.B. ein Herr Renner für die CDU wesentlich mehr herausgeholt hätte. Ich glaube auch nicht, dass sich die CDU hinter Herrn Turner versteckt hat. Im Gegenteil, die Mitglieder um Stefan Kaufmann haben sicherlich nächtelang recherchiert, was man dem politischen Gegner noch alles andichten und in die Schuhe schieben könnte.
Ist es nicht eher so, dass etablierte Parteien auf einem Selbstfindungskurs sind? Alle merken, dass sich die letzten Jahre einiges verändert hat. Das Internet hat ebenfalls seinen Platz innerhalb der Aufklärungsarbeit der Bürger eingenommen. Was ist eigentlich aus der SPD geworden? In einer politisierten Stadt wie Stuttgart versinken die fast in der Belanglosigkeit. Gerade mal 5% mehr als Rockenbauch? Das alles sind Fragen, die auch bald in anderen Großstädten auf der Tagesordnung stehen dürften.
Die letzte Lösung für die etablierten Parteien aus meiner Sicht: das Feld für jüngere Mitglieder räumen. Wenn die CDU tatsächlich ohne jegliche personelle Konsequenz ihre Linie so weiterführt, wäre das zwar zur Parteilinie passend, jedoch ohne jeglichen Sinn. Und ganz ehrlich, ein Herr Turner war einfach nicht der geeignete Kandidat. Nicht für Stuttgart.
P.S. Wenn ich dir erzählen würde, wie viele Menschen die 6,10 EUR City-Maut Gebühren auf den Plakaten für bare Münze genommen haben, dann müsstest du deine These des Otto-Normal-Wählers noch mal überdenken ;)
Ich sag nur: Wahlbeteiligung 47,2%. Mwahaha. Über die Hälfte der Bevölkerung hat auf die Pappnasen keinen Bock mehr. Wen wundert’s?