Unter #merkelstreichelt wird Angela Merkel heftig angegangen. Kälte wirft man ihr vor. Im Zuge der „Kommt lasst uns mal wieder mit den Bürgern reden“ Kampagne unterhielt sich Frau Merkel knapp 90 Minuten mit Schüler_innen in Rostock. Während des Gesprächs meldet sich Reem zu Wort. Ein Mädchen, das mit ihrer Familie seit 4 Jahren in Deutschland lebt, zur Schule geht und komplett integriert scheint. Nun kann es sein, dass Reem und ihre Familie abgeschoben wird. Sie ist verzweifelt. Sie sieht keinen Ausweg. Weint. Merkel kommt und streichelt sie. #merkelstreichelt eben.
Das oben zu sehende NDR Video, das kursiert, zeigt einen Ausschnitt einer knapp 12-minütigen Unterhaltung zur Flüchtlingspolitik. Hier der ganze Teil zur Flüchtlingspolitik.
Überraschung? Nein.
Ich will mich auch gar nicht an der Szene des Videos abarbeiten. Das haben die meisten Menschen Blogs um mich herum haben bereits länger oder kürzer darüber geschrieben. Viel interessanter finde ich, wie Merkel ihre seit Jahren gescheiterte Flüchtlingspolitik vertuscht verteidigt und kommunikativ als Meisterleistung noch eins draufsetzt:
Und wenn wir jetzt sagen: „Ihr könnt alle kommen, und ihr könnt alle aus Afrika kommen, und ihr könnt alle kommen.“ Das, das können wir auch nicht schaffen. Und da sind wir jetzt in diesem Zwiespalt. Und die einzige Antwort, die wir sagen ist: bloß nicht so lange, dass es so lange dauert, bis die Sachen entschieden sind. Aber es werden manche auch wieder zurückgehen müssen.
So macht das ein Kommunikationsprofi. Eigene Fehlpolitik wegschieben und auf den eigenen Tatendrang hinweisen. Gepaart mit der einzigen, richtigen Lösung. Alternativen? Bloß nicht. Umdenken? Nein. Aber auch das ist immer noch nicht überraschend.
Was passiert auf Twitter
Ich schaue auf Twitter, was die Menschen unter #merkelstreichelt schreiben. Erst da fehlen mir ob der Verblendung vieler Menschen die Worte. Meine Reaktion:
Es gibt noch viel in der Asylpolitik zu tun! Das liegt nicht nur an Merkel,das ist schon Jahrzehntelang versäumt worden!#merkelstreichelt
— immer optimistisch (@s_oppor) 16. Juli 2015
Wie lange regiert Merkel nun? Seit 22. November 2005. Fast 10 Jahre. Eine Dekade. Die dritte Amtsperiode, in der etwas hätte bewegt werden können. Wie viele Jahrzehnte wurden denn Fehler in der Flüchtlingspolitik gemacht? Und in wie vielen Jahren kann man vorausgegangene Fehlentscheidungen korrigieren? 10 Jahre sind mehr als genug.
Nehmt das Mädchen doch bei euch auf, statt hier über #MerkelStreichelt zu motzen. Freiwillige? Nicht? War klar. Heuchler.
— (@Systmsmphr) 16. Juli 2015
Viele Heuchler empören sich, aber wie viele Flüchtlinge habt ihr bei euch aufgenommen? #MerkelStreichelt
— PrivatYT (@PrivatYT) 16. Juli 2015
#merkelstreichelt Scheinheiligkeits-Propaganda regt mich gerade tierisch auf.. dann nehmt doch mal Flüchtlinge auf!! Komm, ja dich mein ich
— PrimerChocolate (@PrimerChocolate) 16. Juli 2015
Jeder, der hier unter #merkelstreichelt die Kanzlerin als kaltherzig etc. bezeichnet darf gerne 1 oder mehr Flüchtlinge aufnehmen. #TutWas
— Dörte Faatz (@I_Love_Atheism) 16. Juli 2015
#merkelstreichelt Und dann sollen noch mehr Asylanten aufgenommen werde? Wo sollen die denn hin ziehen? In eure Wohnungen?
— MrHi554 (@MrHi554) 16. Juli 2015
Diese Tweets sind ganz wunderbare Beispiele für fehlgeleitetes Denken. Die Forderung Flüchtlinge in „eigenen“ Wohnungen aufzunehmen geht vollkommen am Kern der Diskussion vorbei. Warum schreiben Menschen einen derartigen Unfug? Haben sie die Befürchtung, dass Deutschland tatsächlich zu klein ist? Oh, da hat Frau Merkel wirklich ganze Arbeit geleistet.
Was haben wir nun gelernt?
Natürlich hat die #merkelstreichelt Debatte doch zu etwas geführt: Nun wissen bereits junge, weltoffene Menschen, dass „Fremdes“ irgendwie schnell weg muss. Darüber sollte man sich aufregen. Das Streicheln und die Empathie waren im Rahmen der menschlichen Möglichkeiten Merkels hingegen fast schon revolutionär.