Fleischhauers Absturz des Journalismus am Beispiel des Germanwings Absturzes

Floyd Kommentieren Der letzte Fake, Gedankenfetzen

Lieber Jan Fleischhauer,
vielen Dank für Ihre Spiegel Online Kolumne „Wut auf Journalisten: Die da oben schreiben doch eh, was sie wollen„. Mit Sicherheit werden Sie hier nichts lesen, was Sie nicht schon an anderer Stelle gelesen haben. Nur gesammelt.

intelligence
Foto: Gisela Giardino / CC BY-SA 2.0

Wikipedia spuckt mir zum Thema Kolumne folgendes aus:

Die Kolumne (von der Kolumne des Drucksatzes, aus lat. columna „Stütze“, „Säule“) bezeichnet in der Presse sowie im Online-Journalismus einen kurzen Meinungsbeitrag als journalistische Kleinform.

Journalistische Kleinform. Das bleibt hängen. Sie nehmen das Germanwings Flugzeugunglück als Aufhänger, um sich an „alternativen Medien“ abzuarbeiten.

Ich erinnere mich an meine Kindheit, als wir an fremder Menschen Türen geklingelt haben. Ein Kinderstreich, wie ihn wohl viele kennen. Jeden Freitag klingelten wir zur gleichen Zeit an den gleichen Türen. Wie kindlich. Wie naiv. Dingdong. Klingeling. Plötzlich reisst ein Mann die Tür auf und verfolgt uns im Sprint. Unsere Gruppe trennt sich und jeder rennt in eine andere Richtung.

Eine halbe Stunde stehen mein bester Freund, dessen Eltern und der fremde Mann vor unserer Haustür. Begleitet werden sie von zwei Polizisten.

In dieser Situation wäre ich nie auf den Gedanken gekommen die Schuld bei anderen zu suchen. Nun stehen vor Ihrer Redaktion sicherlich keine Polizisten und dennoch: Ihre reflexartige Schreibweise legt nahe, dass Sie nicht auf der Suche nach Selbsterkenntnis sind. Sie arbeiten sich an einem Thema ab, das seit Jahren diskutiert wird. Oder sind es bereits Jahrzehnte? Wenn Sie von jedem Smartphone-Besitzer als Berichterstatter schreiben, schwingt eine gewisse Abfälligkeit zwischen den Zeilen, die einen Menschen über einen anderen stellt. Das missfällt mir. Sehr sogar. Da der Text keinerlei humoristische Elemente beinhaltet gehe ich davon aus, dass die Zeilen tatsächlich Ihre Überzeugung spiegeln.

Ihre Meinung mündet in folgender Aussage:

Früher waren „die da oben“ die Politiker oder die Reichen, jetzt sind es auch die arrivierten Journalisten.

Arriviert, ein kleines Adjektiv, das Ihre Haltung verdeutlicht. Denn arriviert beschreibt einen Menschen, der beruflich oder gesellschaftlich aufgestiegen ist. Von welchen arrivierten Journalisten sprechen Sie? Beschreiben Sie sich selbst als arriviert? Sind es alle Spiegel und Spiegel Online Journalisten? Wer bestimmt, ab wann wer arriviert ist? Ist dabei nicht entscheidend, von welchem Blickwinkel man „arriviert“ betrachtet? Das „Oben“ der einen ermöglicht erst das „Unten“ der anderen. Und umgekehrt. Ansonsten wären alle gleich.

Bevor ich weiter abschweife, lassen Sie mich wieder konkret werden. Wenn Sie den angeblichen Absturz des Journalismus thematisieren wirkt das wie eine kindliche Reflexhaltung. Fehler Ihrerseits sind dabei völlig ausgeschlossen. Sie wehren sich gegen den Absturz, indem Sie absurde Artikel „alternativer Medien“ erwähnen, um Berichte „arrivierter“ Journalisten in einem besseren Licht erscheinen zu lassen.

Wir Menschen sind vermeintlich widersprüchliche Wesen. Einerseits wünschen wir uns die restlose und absolute Aufklärung, andererseits die Achtung menschlicher Werte, die unsere Gesellschaft erst funktionieren lässt. Welchen Mehrwert bietet mir der volle Name des Co-Piloten? Wäre es nicht ausreichend nur vom Co-Piloten zu schreiben, auch oder gerade weil Sie wissen, dass Sie die Argumentation mit der historischen Dimension der Tat und der Person des öffentlichen Interesses aus der Tasche ziehen können? Hitler darf man ja auch ausschreiben. Und Fotos darf man auch zeigen. Beim Amoklauf in Winnenden durfte man den Täter doch auch beim Namen nennen. Und Fotos zeigen. Sie sehen, ich bin bei den Beispielen genauso sprunghaft wie Sie in Ihrem Artikel.

Ich bin ein hoffnungsloser Fall, denn natürlich ist mir bewusst, dass Sie in Konkurrenz zu all den anderen „arrivierten“ Journalisten stehen. Auch diejenigen, die außerhalb von Spiegel und Spiegel Online arbeiten. Es ist ein Wettlauf. Wer sitzen bleibt und nur über Fakten berichtet, gerät schnell ins mediale Abseits. Keine Klickstrecke belangloser Bilder ist bei diesem „Ereignis“ zu schade, um Werbeeinnahmen zu steigern. Im click & earn Modus blicken Sie leicht verächtlich auf den sogenannten „Citizen Journalism“ herab, der sich ihrer Meinung nach etwas von der vermeintlichen Medienelite zurückholen will. Was zurückgeholt werden soll bleibt für immer ihr Geheimnis.

Der letzte Schrei bei diesem als Selbstermächtigung gefeierten Bürgerjournalismus sind Livestream-Apps wie Periscope oder Meerkat, die aus jedem mit einem Smartphone einen Berichterstatter machen.

Zählen sie die Journalisten der Bild auch zu den „arrivierten“ Journalisten? Die bezahlen die sogenannten „Citizen Journalists“ für Fotos, die diese vor Ort machen. Und so sind viele Bürger-Reporter unterwegs und schicken Fotos des letzten Unfalls an die Redaktion. Cash für Crash.

Mir liegt es fern Sie zu beleidigen, Sie zu beschimpfen oder ein einziges böses Wort über Sie zu schreiben. Leider haben Sie es versäumt den Vorteil, den ihnen die „alternativen Medien“ aufgelegt haben, zu nutzen. In Ihrer Kolumne begeben Sie sich lediglich auf die gleiche Ebene, wie die von Ihnen erwähnten alternativen Medien. Und vielleicht ist es sogar gut so. Vielleicht dauert der Wandel im Journalismus sehr lange. Ebenso lange benötigt ein Teil der Bürger-Journalisten um zu verstehen, dass ihre Berichte auch einem gewissen Fundament bedürfen.

Eine Kolumne über Berichte diversester Verschwörungstheoretiker zu veröffentlichen halte ich bei allem Respekt für groben Unfug. Denn Sie wissen genauso gut wie ich, dass zwischen den Extremen auch ganz gute Medien existieren, egal ob alternativ oder nicht. Dass Sie am Ende Ihrer Kolumne noch auf den „Internet-Prediger“ Richard Gutjahr zu sprechen kommen komplettiert das Bild Ihrer Kolumne. Sie halten diverse Gedanken fest und was am Ende bleibt ist die Frage, was Sie mir damit sagen wollen.

Sie greifen in Ihrer Kolumne partielle Extreme auf, die über ihren Monitor flatterten. Oder nach denen Sie gezielt gesucht haben? Dass Sie Ken Jebsen nicht namentlich erwähnen, wird Ihnen dieser sehr übel nehmen. Ich übrigens auch, denn so wäre für viele Leser offensichtlich, auf welcher Ebene sich Ihre Kolumne bewegt. Sie hätten ja ernsthaft über den Inhalt des bildblog Artikels „Absturz des Journalismus“ kolumnieren können, entschieden sich dann aber für die einfacherere Variante. Die, die schneller von der Hand geht, falls man das im Journalismus so nennen darf.

Abschließend halte ich fest: Wir sind uns eigentlich total ähnlich. Wir greifen partiell Dinge auf, bringen sie in keinen Zusammenhang und lassen diesen Inhalt auf unsere Leser los. In der Hoffnung dass diese intelligent genug sind unsere wirren Gedanken zu verstehen.

Vielleicht klingeln wir eines Tages gemeinsam an fremden Türen, werden erwischt und erkennen beide unsere Fehler an. Dabei?

Mit feundlichen Grüßen
Kein Journalist

Empathielose Medien-Spekulationen zum Germanwings Flugzeugunglück

Floyd 1 Kommentar Der letzte Fake

Gestern ist unglaublich Schreckliches passiert. Ich möchte gar nicht auf das unendliche Leid eingehen. Und wer jetzt mit dem Vergleich der Sicherheit von Flügen im Vergleich zu anderen Transportmitteln kommt: Ok, darfst du. Es ist aber trotzdem nicht verboten, mitzutrauern, Empathie zu zeigen. Teilzuhaben.

Spekulation mit dem Leid

Über die Ursache des Absturzes ist nichts bekannt und gleichzeitig sendet ARD und ZDF ab mittags stundenlange „Extra“ Sendungen, die sich mit Wahrscheinlichkeiten und Spekulationen beschäftigen. Von der Bild Zeitung hat niemand ernsthaft etwas anderes erwartet, als dass bereits direkt vom Flughafen Düsseldorf weinende, trauernde Angehörige und Freunde gezeigt werden. Ein Foto der Anzeigetafel, auf dem der Flug noch gelistet ist, darf nicht fehlen. Noch dazu erdreistet sich die Bild in Person von Franz Josef Wagner einen überaus deplatzierten Brief an die Absturzopfer zu schreiben, der von lustigem Treiben am Gepäckband und netten Stewardessen erzählt. Am Ende schließt der Brief mit „Es ist so furchtbar. Ich will kein Wort mehr darüber schreiben.“ Mach das. Ist besser so.

Natürlich berufen sich alle auf ihre journalistische Tätigkeit und dass man sich an den journalistischen Kodex halte. Gerade bei der Bild Zeitung ist man sich keines journalistischen Fehlers bewusst. So schreibt Julian Reichelt, Chefredakteur bei bild.de, dass es ja schließlich kein journalistischer Fehler sei im Angesicht von Leid und Trauer Nachrichtenfotos zu zeigen:

julian reichelt bild zeitung tweet_germanwings flugzeuabsturz
Quelle: Tweet von Julian Reichelt – Abbildung via Screenshot, um das Foto zu verpixeln

Kai Diekmann, Chefredakteur der Bild, argumentiert nicht viel besser geht sogar noch einen Schritt weiter und argumentiert mit kindlicher Logik, frei nach dem Motto „wenn die anderen Medien Fotos von Angehörigen zeigen, dann dürfen wir das auch“. Diese Logik funktionierte bereits in der Kindheit selten, war aber in Anbetracht des Alters akzeptabel.

bild kai diekmann germanwings absturz twitter
Quelle: Tweet von Kai Diekmann – Abbildung via Screenshot, um die Fotos zu verpixeln

Der Medienkodex könnte helfen

Bei aller Sensationsgier möchte ich kurz einwerfen, dass es im Medienkodex auch einen Teil gibt, wie man Opfer und Angehörige schützen kann. Das könnte für viele Journalisten/Berichterstatter in der momentanen Ausnahmesituation interessant sein:

Richtlinie 8.2 – Opferschutz
Die Identität von Opfern ist besonders zu schützen. Für das Verständnis eines Unfallgeschehens, Unglücks- bzw. Tathergangs ist das Wissen um die Identität des Opfers in der Regel unerheblich. Name und Foto eines Opfers können veröffentlicht werden, wenn das Opfer bzw. Angehörige oder sonstige befugte Personen zugestimmt haben, oder wenn es sich bei dem Opfer um eine Person des öffentlichen Lebens handelt.

Richtlinie 8.3 – Kinder und Jugendliche
Insbesondere in der Berichterstattung über Straftaten und Unglücksfälle dürfen Kinder und Jugendliche bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres in der Regel nicht identifizierbar sein.

Richtlinie 8.4 – Familienangehörige und Dritte
Bei Familienangehörigen und sonstigen durch die Veröffentlichung mittelbar Betroffenen, die mit dem eigentlichen Gegenstand der Berichterstattung nichts zu tun haben, sind Namensnennung und Fotoveröffentlichung in der Regel unzulässig.

Punkt 11 des Medienkodex beschäftigt sich im übrigen mit Sensationsberichterstattung und Jugendschutz. Dort heisst es:

Richtlinie 11.3 – Unglücksfälle und Katastrophen
Die Berichterstattung über Unglücksfälle und Katastrophen findet ihre Grenze im Respekt vor dem Leid von Opfern und den Gefühlen von Angehörigen. Die vom Unglück Betroffenen dürfen grundsätzlich durch die Darstellung nicht ein zweites Mal zu Opfern werden.

WAS ZUR HÖLLE IST LOS MIT EUCH?

Ihr zerrt Menschen vor Kameras, filmt sie ohne Einwilligung, macht nicht mal ihre Identität unkenntlich. Ich glaube ernsthaft, dass wir in einer Welt leben, in der ich mich immer stärker unwohl fühle. Macht doch mal die Kameras aus. Ich sage nicht, dass eure Arbeit unwichtig ist, aber zeigt doch etwas Anstand. Ok, ich verstehe, Anstand kreiert keine Einschaltquote. Anstand treibt keine Leserzahlen oder Abonnenten in die Höhe. Schade.

Die ARD versucht sich als verständnisvolle Sendeanstalt. Man versucht sich an „anständiger“ Berichterstattung. So veröffentlicht man auf Facebook diesen Post:

IN EIGENER SACHE: Liebe Nutzer, in den sozialen Kanälen von @ARDde wird es kein „Best Of Flugzeugabstürze“ geben und wir werden keine Bilder von trauernden Angehörigen teilen. Aktuelle Erkenntnisse zum Absturzhergang werden wir kommunizieren, sobald sie uns vorliegen.

Traurig, dass dies von einigen Usern sogar als lobenswert hervorgehoben wird. Man bedankt sich bei der Sendeanstalt und lobt das Verhalten. Ey, das ist für mich selbstverständlich. Was soll denn überhaupt ein „Best of“ im Zusammenhang mit Flugzeugabstürzen sein? Spielt man auf die privaten Sender an, die ständig die „Best of Betrunkene am Ballermann“ Sendungen zeigen? Möchte man sich damit qualitativ über die privaten Sender stellen?

Ein „Best of“ veröffentlichte die ARD tatsächlich nicht, dafür eine knapp 3-minütige Chronik schwerer Unfälle in der zivilen Luftfahrt. Verlinkt auf Twitter, nicht auf Facebook. Wortklauberei. Die „Chronik“, das ehrenhafte „Best of“ Format der ARD. Wollt ihr euren Lesern und Zuschauern den letzten Funken Verstand absprechen?

In Wahrheit bewegen sich die öffentlich rechtlichen Sender auf ebenso dünnem Spekulationseis, wie alle anderen Berichterstattungen auch. Überall wimmelt es von Experten, die in Sekundenschnelle vor Kameras gekarrt wurden, um noch die kleinste Spekulation zu befeuern. Widerlich. Ihr macht eine Stadt zum Sinnbild der Trauer, weil ihr euren Zuschauern und Lesern ein Sinnbild geben wollt. Angereichert mit gewaltigen Worten wie „Eine Stadt taumelt…“ kreiert ihr Bilder in den Köpfen eurer Leser. Absichtlich. Wird das Leid so greifbarer? Muss es das überhaupt?

Eine Tageszeitung zeigt, was eine gute Zeitung anscheinend ausmacht: Eine Überschrift, bei der mir schlecht wird. „Austauschreise in den Tod“ steht da in großen Lettern. Wer schreibt so etwas? Was für Bilder entstehen denn bei so einer Überschrift in meinem Kopf? An was denkt ihr, wenn ihr so eine Überschrift lest? Vielleicht bin auch ich alleine das Problem?

Das Leid der Trauernden ist einigen von euch egal. @Reisebiene hat einen Screenshot veröffentlicht, der dies ganz gut verdeutlicht. Wie absurd.

twitter screenshot medien_flugzeugabsturz germanswings
Screenshot von @Reisebiene auf Twitter

Und ja, mit Sicherheit gibt es auch gute Beispiele. Berichterstattungen, die sich auf Fakten stützen und erst dann berichten, wenn es neue Informationen gibt, die keine spekulative Ebene bedienen. Diese Berichte unter allen anderen herauszufiltern ist nicht ganz so einfach. Denn mit stundenlangen Spekulationen wurden die Menschen gestern bereits den ganzen Tag gequält.

Ich wünsche mir, dass die betroffenen Familien, Freunde und Verwandte in Ruhe trauern dürfen, ohne dass sie von irgendwelchen Spekulationen oder Kamerateams belästigt werden. Das Leid ist für die Betroffenen ist mit Sicherheit groß genug.

Update 26.06.2015 – 8 Uhr
Tweets von Kai Diekmann und Julian Reichelt als Screenshots eingebunden. Verpixelung der Angehörigen.

Update 26.06.2015 – 8.30 Uhr
Weitere Beispiele für unpassende Berichterstattung finden sich im Beitrag des bildblog: Absturz des Journalismus.