Zur Zeit ist es schwer in Mode, sich beim Abendessen gegenseitig Aufgaben zu stellen. Kind 1 ist wissbegierig und rechnet für sein kleines Leben gerne. Kind 2 sieht das eher pragmatisch und nimmt es aufgrund des Alters mit den Zahlen nicht so genau. Das Ergebnis, egal bei welcher Aufgabe, kann nur 5 oder 8 sein. Gestern Abend dann die überraschende Wendung.
Kind 1: Papa, stellst du mir bitte eine Aufgabe? Ich: Wenn noch 20 Säckchen am Adentskalender hängen und du anschliessend zwei Mal schläfst, wie viele Säckchen hängen dann noch? Kind 1: 18.
Super. Gut gerechnet.
Kind 2: Kind 1, stellst du mir bitte auch eine Aufgabe? Kind 1: Stell Dir vor, du hast 2 Glubschaugen und eines geht kaputt. Wie viele Glubschaugen hast du dann noch? Kind 2: Dann hole ich mir eine Brille.
Kiezneurotiker hat vor ein paar Tagen meinen Fragebogen, im Sprachgebrauch Stöckchen genannt, beantwortet. Auf die Frage, ob und wann er sich noch wie ein Kind verhält, antwortete er:
Wenn ich mit meinem Kind spiele, werde ich selber zum Kind. Und wenn es dann lacht, wenn ich mich zum Klops mache, gibt es nichts Schöneres. Wir müssen alle immer so oft so erwachsen sein. So ein Kind zeigt, dass es auch mal anders geht. Und es ist gesellschaftlich akzeptabel, wenn man sich als Vater mit Kind in der Öffentlichkeit wie eines verhält.
Das machte mich irgendwie traurig. Gleichzeitig öffnete sich mir ein ganz neuer Blick auf Kind 1 und 2. Kinder können anstrengend sein, das ist bekannt. Doch sie eröffnen uns jeden Tag Einblicke in ihre Welt, die so schön einfach ist (abhängig vom Alter natürlich), auch wenn uns „Erwachsenen“ das Verhalten der Kinder manchmal nicht passt. Das ganze Wesen Kind geht meist voran, mein Wille, mein Weg. Egoschlümpfe. Das soziale Miteinander lernen sie erst mit der Zeit. Doch was alle Kinder gemein haben ist der unbändige Spieltrieb. Stundenlang versinken sie im Spiel, gehen einer Sache nach. Zeit? Nicht relevant.
Kind 1 und 2 sind meine Legitimation selbst Kind sein zu dürfen. Der entscheidende Satz in Kiezneurotikers Antwort:
Und es ist gesellschaftlich akzeptabel, wenn man sich als Vater mit Kind in der Öffentlichkeit wie eines verhält.
Wenn ich zurückblicke spackte ich schon immer gerne herum, machte Spaß und begegnete vielen Dingen spielerisch. Gerade darf ich all das mit Kind 1 und 2 wieder in vollem Umfang ausleben und das auch noch mit der Akzeptanz der Gesellschaft.
Was passiert mit mir, wenn Kind 1 und 2 älter werden? Werde ich nie mehr Sandburgen bauen, nie mehr freudig durch die Gegend hüpfen und springen, mich nie mehr im Supermarkt auf den Boden legen dürfen, um „ICH WILL DAS ABER! ICH BRAUCHE DAS JETZT!“ zu schreien. Wie sieht das denn aus?
Darf ich dann nie mehr auf einer Skateboardrampe fahren, weil die anderen Kids mich schräg von der Seite anschauen werden? „Schau mal, der Typ mit den grauen Haaren fährt ein Skateboard, das ungefähr von 1985 sein muss“, höre ich die Checker der Zukunft schon rufen.
Überhaupt kann Gesellschaft ab und an ein richtig fieser Typ sein. Wem von euch ist schon mal aufgefallen, dass man bereits schräg angeguckt wird, wenn man zum Beispiel lauthals in der U-Bahn lacht? Vor kurzem habe ich bemerkt, dass die Beschränkung zu einem großen Teil nur in meinem Kopf existiert. Mit ein paar Arbeitskollegen joggten wir, als ein Fahrradfahrer uns von hinten überholte. Mir schoss „Bicycle Race“ von Queen in den Kopf und ich begann lauthals zu singen: „I want to ride my bicycle, I want to ride…“ Meine Kollegen_innen stimmten ein und der Fahrradfahrer schenkte uns ein Lächeln. Na also, geht doch. Vielleicht muss ich mich nur öfter überwinden. Allgemein finde ich, dass lautes Singen in der Öffentlichkeit zu einer Randdisziplin verkommt.
Meine Kinder lernten mir bis jetzt, dass ich wieder „freier“ leben sollte, ohne ständig auf eine von der Gesellschaft akzeptierten Handlungsweise achten zu müssen. Vielleicht ist es sogar so, dass sich andere Menschen mehr Mitmenschen wünschen, die einfach mal umherspacken. Vielleicht auch nicht.
Ach was. Wenn die Kinder größer werden, dann werde ich ein Skateboard fahrender Clown. Der darf nämlich fast alles. Und das von der Gesellschaft legitimert. Jau, ich bin aus dem Dilemma raus.
In der Nähe unserer Wohnung gibt es einen Platz, der allen Bürgern der Stadt offensteht. Zwei kleine Fußball-Tore und ein Basketball-Spielfeld ziehen Kinder und Jugendliche an. Wir gehen ab und zu zum Fahrradfahren hin, da Sohn 1 und 2 da frei fahren können. Kein Autoverkehr, kein auf dem Gehweg fahren.
Der seltsame Typ mit dem Bumerang
Der Platz ist ungefähr so groß wie ein Fußballfeld. Wir halten uns auf der einen Seite auf, in der Mitte spielen ein paar Jungs Basketball und auf der anderen Seite wirft ein älterer Mann, ich tippe sein Alter auf ungefähr 60, einen Bumerang. Man kennt sich zumindest vom Sehen, denn der Mann ist öfter dort. Wir auch.
Nun, kurz bevor wir wieder nach Hause fahren wollen, machen wir zum Abschluss ein Wettrennen. Von der einen Seite des Platzes zur anderen und wieder zurück. Wir halten bei Herrn Bumerang viel Abstand, doch als wir auf Höhe des Mannes ankommen, ruft dieser laut: „Spielen Sie hier jetzt Fußball?“ Sohn 1 hat zwar einen Ball auf dem Gepäckträger, aber ich verneine seine Frage. Das scheint Herrn Bumerang nicht zu gefallen, denn mit einem „Und was machen Sie dann hier?“ möchte er anscheinend eine Unterhaltung beginnen. Mein Gehirn schickt meinem Mund ein nettes „Fahrrad-Wettrennen“ als Antwort und wir fahren weiter.
10 Meter später drehen wir um und wollen wieder zum anderen Ende fahren. Zack, da steht Herr Bumerang schon wieder und spricht mir die Fähigkeit einer verantwortungsbewussten Erziehung ab. Bumerang kennt die Tricks und Kniffe, mit denen man Eltern ans Bein pinkeln kann. Wir halten an, Sohn 1 und 2 sichtlich irritiert, was denn Herr Bumerang nun eigentlich wolle.
Herr Bumerang:
Sehen Sie nicht, dass ich hier Bumerang spiele? Das ist gefährlich.
Und ich so:
Doch, das sehe ich, deswegen halten wir so viel Abstand.
Herr Bumerang:
Das hier ist aber mein Bereich.
Und ich so:
Der Platz steht allen Menschen offen.
Herr Bumerang:
Aber wenn ich hier Bumerang spiele, dann spiele ich hier.
Und ich so:
Das spricht Ihnen niemand ab. Sie dürfen hier gerne weiter spielen.
Herr Bumerang wild gestikulierend und einen Vogel zeigend:
Wenn Sie nicht fähig sind für die Sicherheit ihrer Kinder zu sorgen, dann sollten Sie keine Kinder haben.
Und ich so:
Das stimmt.
Herr Bumerang einen Mittelfinger zeigend:
Was sind Sie für ein Vorbild für ihre Kinder? Ich spiele hier und der Bumerang könnte ihre Kinder am Kopf treffen.
Und ich so:
Ihren Gesten nach zu urteilen, haben Sie keine Kinder. Vielleicht sollten Sie besser trainieren, dass sie den Bumerang immer fangen, oder aber eine freie Wiese suchen, auf der keine Kinder spielen. Meine beiden Kinder sind ja nicht die einzigen, die hier spielen. Die Frage ist doch, warum Sie knapp die Hälfte dieses Platzes alleine in Anspruch nehmen, während sich 15 Jugendliche und Kinder auf der anderen Hälfte aufhalten sollen.
Herr Bumerang:
Ich war zuerst da.
Und ich so:
Das sagen meine Kinder auch immer.
Herr Bumerang kopfschüttelnd:
Ach, Sie werden es nie verstehen. Sie wollen es einfach nicht verstehen.
Und ich so:
Kann sein, allerdings zeige ich anderen Menschen weder einen Mittelfinger noch einen Vogel.
Herr Bumerang verlässt unsere Unterhaltung und begibt sich 20 Meter zurück zu seiner Bumerang Abwurf-Stelle. Wir fahren weiter und Sohn 1 und 2 fragen mich, warum der Mann so „blöd“ war. „Blöd“ ist übrigens auch nur ein „blöder“ Versuch das Wort „scheiße“ so lange wie möglich aus dem Sprachgebrauch der Kinder rauszuhalten. Aber das ist eine andere Geschichte.
Wir haben nun 30 Meter Abstand zu Herrn Bumerang. Ein letztes Mal versuche ich mit dem Mann zu reden.
Und ich so:
Ist dieser Abstand für Sie ausreichend? Können wir bis zu dieser Stelle unser Wettrennen fahren?
Herr Bumerang macht mit den Händen den Scheibenwischer vor dem Kopf.
Und ich so:
Das finde ich nicht mehr nett. Ich frage Sie höflich, ob dieser Abstand ausreichend ist und Sie antworten nur mit einer abfälligen Geste.
Herr Bumerang:
Das mache ich, weil Sie mich verarschen wollen.
Mir fällt keine Antwort mehr ein. Nun gut, jeder wie er mag. Herr Bumerang darf glauben, was er möchte, jedoch hat mir die Geschichte eines gezeigt: noch viele Bumerang-Würfe werden ins Land ziehen, ehe Herr Bumerang auf die Idee kommt, kurz mit einem Wurf zu warten, bis ein paar Fahrradfahrer wieder weg sind. Das Warten hätte 15 Sekunden gedauert, die nette Unterhaltung 2-3 Minuten. Manche Menschen kennt man nur aus Erzählungen und ich glaube Herr Bumerang gehört zu dieser seltenen Spezies.
Die Tage, an denen man am liebsten unsichtbar wäre kennt ihr, oder? Dann gibt es Tage, an denen man mit den Kindern Verstecken spielt. Beiden gemein ist, dass ein gutes Versteck äußerst hilfreich für die innere Ruhe ist. So kann man stundenlang den Gedanken freien Lauf lassen. Ohne Unterbrechung.